Von Geiranger über Jotunheimen nach Oslo

Unsere Reise führt uns über den Dalsnibba, den Berg weit oberhalb des Geirangerfjords, nach Süden. Wir passieren die kleine Stadt Lom mit ihrer alten Stabkirche, biegen ab in den Jotunheimen Nationalpark und fahren über das Wintersportzentum Beitostølen weiter nach Süden Richtung Oslo.

Nach zwei schönen Tagen am Geirangerfjord wird es heute Zeit weiterzufahren. Wir standen mit dem Camper zwei Nächte auf einem Parkplatz am Fjordufer in Geiranger. Parken ist hier erlaubt, Camping verboten, aber da wir kein Campingverhalten an den Tag gelegt hatten, störte sich niemand an uns oder an den anderen Campern, die dort über Nacht standen.

Wie immer haben wir auch über diese Episode ein Video produziert - Teil 1 über die Reise von Dalsnibba bis Jotunheimen und Teil 2 über den Abschnitt Jotunheimen bis Oslo sind im Text eingebunden oder direkt auf Youtube abzurufen. 

Heute brechen wir früh auf. Unsere Zeit in Norwegen geht langsam zu Ende. Wir wollen noch einen Tag und eine Nacht in Oslo verbringen und auf dem Weg dorthin durch den Jotunheimen Nationalpark fahren. Als erstes aber klettern wir hoch auf den Dalsnibba, den 1.476 Meter hohen Berg südlich von Geiranger, von dem aus man auf den Fjord blicken können soll - wenn die Sicht frei ist. 

Der Fjord liegt eng im schmalen Tal, das Dorf Geiranger sucht sich seinen Platz und findet ihn, indem es schon einmal nach Süden den Berg hinauf steigt. Die Passstraße beginnt gleich am Ufer. Der Fjord liegt auf Meeresspiegelhöhe! Es geht stetig bergauf, natürlich in vielen engen Kurven. Immer wieder sind Parkplätze an den Punkten eingerichtet, an denen der Blick zurück besonders schön ist. Also blicken wir zurück, wir sind ja nicht Lots Frau und Geiranger ist nicht Sodom.

Nach ein paar Kilometer kräftigen Kletterns - das wir dem Ducato überlassen - erreichen wir schon die Schneegrenze. Auch auf beiden Seiten dieser Straße ist der Schnee meterhoch aufgetürmt, und das im Juni. Dazu scheint die Sonne vom Himmel herunter und lässt uns die Augen zusammenkneifen und nach der Sonnenbrille greifen.

Zum Gipfel des Dalsnibba führt eine Privatstraße, die vom Geirangervegen abzweigt. Laut Reiseführer kostet sie sieben Euro Maut. Das nehmen wir in Kauf.

Wir stehen also schnell am Mauthäusschen. Die junge Dame darin nennt den Betrag von 270 Kronen, also 27 Euro. Bevor ich umgerechnet habe und mir auffällt, dass dies das Vierfache des im Reiseführer genannten Betrages und viel zu viel Geld für 4,5 Kilometer Straße ist, habe ich schon bezahlt und bin weitergefahren. 

Schließlich wollen wir auf den Dalsnibba und haben auch keine Idee, ob wir da zu Fuß rauf kämen, und falls ja, auf welchem Weg. Hinterher erfahren wir, dass Sandra und Marcus die Strecke entlang der Mautstraße gelaufen sind. Nicht wegen der Maut, vielmehr wurde die Straße später am Tag wegen eines Fahrradrennes, das von Geiranger auf den Dalsnibba führt, für den Autoverkehr gesperrt. Das haben wir gesehen, als wir von der Mautstraße wieder auf die Durchgangsstraße abgebogen sind.

Bei der Gelegenheit haben wir auch Sandras und Marcus' weißen Kastenwagen gesehen und angenommen, sie hätten es wegen der Sperrung gar nicht nach oben geschafft. Mal eben die neun Kilometer Fußweg einschieben, das ist schon eine tolle Leistung. Aber die beiden sind ja auch in Åndalsnes "mal eben" den Berg hoch geklettert.

Wir fahren durch das Breiddalen, ein karges, schneebedecktes und von Bergkämmen eingerahmtes Tal. Die Straße ist schmal und kurvenreich und fordert wie immer die volle Aufmerksamkeit. Hinter dem Langvatnet mündet unsere vom Geiranger kommende Straße in den Riksvei 15. Ihm folgen wir jetzt bis hinter Lom.

Gleich hinter der Einmündung stoppen wir auf einem Parkplatz. Der bietet natürlich eine tolle Aussicht. Nach Südosten in das weitere Breiddal, durch das wir später fahren werden, rundherum in ein breiter werdendes Tal und die es umgebenden Berge. Eine Schneelandschaft.

Der Camper neben uns ist gerade im Aufbruch. Überhaupt herrscht hier ein Kommen und Gehen. Aber der Steintisch mit den Steinbänken ist gerade frei. Auch wenn es hier immer kalt ist, heute scheint die Sonne, wir setzen uns auf einen Kaffee raus. In Geiranger haben wir ein köstliches Vollkornbrot mit Nüssen gekauft, das gibt es jetzt mit der hiesigen Molte-Marmelade. 

Ein paar Kilometer weiter stehen an die hundert alte Volvo-Automobile auf einem Parkplatz. Ein Liebhabertreffen mit den Modellen aus den 50er und 60er-Jahren, denn die Vorkriegsmodelle des Herstellers erreichten nur kleine Stückzahlen. Hier stehen viele Buckelvolvos und Amazonen herum, die neuesten Fahrzeuge sind nach dem Augenschein vom Typ 140 aus den 60er Jahren. Allesamt schöne Autos.

Weiter südlich auf der RV15 sehen wir links einen wilden Fluss hervorschießen. In dem Tal, in dem sein Flussbett liegt, stehen einige Holzhäuser. Es ist bewaldet und sieht sehr freundlich aus. Wir stoppen. 

Das Areal heißt Billingen, es ist nicht einmal ein Ort, sondern nur eine Ansammlung von Häusern, vermutlich überwiegend norwegentypische Wochenendhäuser, im Zentrum am Flussufer ein Gasthaus. Das hat heute eine geschlossene Gesellschaft, aber das WC ist natürlich zugänglich. Wir sind ja in Norwegen.

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Hinter dem Haus führt ein Weg in die Landschaft. Eine Karte zeigt an, dass es sich um verschiedene Rundwege entlang des Flusses handelt, von Stromschnellen und Wasserfällen ist die Rede, auch von verschiedenen Brücken, die das Wasser queren. Wir beschließen spontan, einen der Wege entlang zu gehen. 

Die kleine Wanderung dauert gut eine Stunde. Sie ist sehr abwechslungsreich und führt durch einen kleinen Wald am rechten Flussufer bergauf, verläuft dann entlang dem tief in die Felsen eingegrabenen und kraftvoll fließenden Wasser. Die Landschaft um uns herum ist sanft gewellt und sehr karg, auf dem grauen Boden liegt an vielen Stellen noch der Schnee des Winters.

An der entferntesten Stelle dieses Rundweges überqueren wir den Fluss über eine natürliche Brücke. Große Steine haben sich vor vielen Jahren über das Flussbett gelegt. Die Passage ist breit, erfordert aber ein wenig Kletterarbeit, da die Stufen sehr hoch sind. Unter uns rauscht mit hoher Geschwindigkeit das Wasser durch.

Am gegenüberliegenden Ufer verläuft der Weg zurück, wir sehen den Fluss über eine lange Strecke vor uns ins Tal fließen, wo er das größere Wassersystem des Breiddalen ergäzt. Eine kalte Dampfwolke liegt über dem Fluss. 

Fünfzig Kilometer weiter haben wir Lom erreicht. Die Stadt wirkt düster mit ihren dunklen Holzhäusern. Tankstellen, Supermärkte, Hotels. Ein kleines Zentrum in der leeren Landschaft. Wir nutzen eine der Tankstellen, um Grauwasser abzulassen und Frischwasser aufzunehmen. Im Supermarkt kaufen wir ein und stöbern ein wenig in den Geschäften. 

Besuchermagnet in Lom ist die Stabkirche. Auch diese ist sehr alt, Untersuchungen des verwendeten Holzes haben ergeben, dass sie im 12. Jahrhundert errichtet wurde. Ihr Holzanstrich, der als Schutz vor der Witterung dient, ist deutlich heller als der der Häuser im Ort, so dass die Kirche ihnen gegenüber geradezu heiter wirkt. Ursprünglich verlief um das Gebäude herum ein Laubengang, der den Gläubigen Schutz vor dem Wetter bieten sollte. Einen derartigen Laubengang haben wir in Borgund sehen können. Hier in Lom wurde er im Laufe der Zeit zugunsten einer Erweiterung des Innenraums entfernt.

Die Stabkirche Lom wird heute noch als Gotteshaus genutzt. Als wir ankommen, wird sie leider gerade abgeschlossen, so dass wir den Innenraum nicht sehen können.

Wir verlassen die Stadt über die RV15 in östlicher Richtung und biegen wenige Kilometer später auf die National Tourist Road 51 ab. Unendlich verläuft sich diese Straße durch die immer weiter und offener werdende Landschaft. Wir fahren durch große lichte Nadelwälder, vorbei am Fluss, im Hintergrund schneebedeckte Berge.

Wir sind am Rande des Jotunheimen Nationalparks, unser Ziel ist der Besseggen Fjellpark. Dort auf dem Campingplatz stehen Sonja und Matthias von camperflower.de. Wir wollen mal schauen, ob wir in der Nähe irgendwo freistehend übernachten können, denn auf Campingplatz haben wir keine Lust. Die beiden und ihr kleiner Sohn stehen dort, weil sie von hier aus ein paar Wanderungen unternehmen und der Camper in der Zeit auf dem Platz sicher steht. Der alternative Parkplatz gegenüber wäre genauso teuer, aber weniger sicher.

In dieser großzügigen Landschaft ist natürlich auch ein Campingplatz großzügig angelegt. Hier dominieren auch nicht die Wohnmobile das Bild, es sind viele Zelte aufgestellt. Die Idee, im platzeigenen Restaurant zu Abend zu essen, zerschlägt sich, da hier heute eine Busgesellschaft bewirtet wird. Für uns ist kein Platz mehr. 

Wir machen deshalb Platz auf dem Platz und fahren ein Stück die Straße zurück. An einer Stelle, an der der Fluss breit wie ein See ist, haben wir auf der Herfahrt einige mögliche Stellen zum Übernachten gesehen. Wir wählen eine unebene Parkbucht neben der Straße. Hier steht bereits ein PKW. Kein Schild verbietet das Parken.

Es ist ein bisschen mühsam, den Camper so abzustellen, dass er eben steht. Ein wenig Neigung macht uns aber nichts aus. Die Aussicht ist top. Jetzt kochen wir erst einmal für das Abendessen: mal wieder Lachsfilet, dazu Bratkartoffeln und einen großen grünen Salat. 

Zu dem PKW gehören ein paar junge Leute, die am Ufer ein Zelt aufgebaut haben. Obwohl es schon spät am Abend ist, sehen wir, wie sie das Zelt abbauen, alle Ausrüstung und sich selbst im Auto verstauen und davonfahren.

Jetzt sind wir alleine auf weiter Flur. Nur selten fährt ein Auto vorbei. So richtig dunkel wird es auch heute Nacht wieder nicht. 

Am nächsten Morgen fahren wir nur die kurze Strecke zum Fähranleger in Gjendesheim. Gegenüber dem Campingplatz biegt eine Seitenstraße ab. Die meisten Tagesausflügler parken hier auf dem großen und kostenpflichtigen Parkplatz. Ein Busshuttle bringt sie zur Fähre. Wir fahren bis zum Ende durch und lasssen den Camper auf einem Platz vor dem Fähranleger stehen.

Neben uns ein PKW mit vier jüngeren Leuten, sie haben offenbar die Nacht in diesem Auto verbracht. Die zwei Frauen des Quartetts versuchen gerade, sich im öffentlichen WC des üblichen Café-Touristenbüro-Gebäudes frisch für den Tag zu machen. Was bin ich froh, dass wir in einem Wohnmobil mit Bad reisen.

Die Touristen kommen vorzugsweise zum Wandern her. Die Personenfähre bringt sie zum Ausgangspunkt einer längeren Strecke über den Kamm, der den Gjendesee vom Bessvatnet trennt. Die Wanderung wird auch in unseren Reiseführern empfohlen. Natürlich fehlt uns die Zeit für eine Tageswanderung. 

Wir gehen aber ein gutes Stück vom See weg den Hang hinauf. Nach einer halben Stunde haben wir einen sehr weiten Blick in drei Himmelsrichtungen. Auch wenn es heute hier sehr wolkenreich ist, der Wind treibt sie kräftig voran, der blaue Himmel blitzt oft genug durch, es ist klar genug, um sehen zu können. 

Etwas westlich von uns verläuft die einzige Durchgangsstraße nach Südwesten, sie schlängelt sich auf halber Höhe durch die schräge Landschaftsformation. Der Straße folgen wir wenig später. Heute ist Sonntag, der Verkehr ist lebhaft. 

Die Straße ändert ihre Richtung nach Süden, sie steigt weiter an. Der Seitenwind hat in dem kargen Land ein leichtes Spiel und zwingt mich, das Lenkrad gut festzuhalten. Links taucht ein großer dunkler See auf, der Vinstre. Die Straße fällt ab, um sich am rechten Ufer im Hang am See vorbei zu quetschen, und steigt dahinter wieder an.

Später erreichen wir das Skizentrum von Beitostølen, das jetzt im Sommer, wie viele Wintersportzentren, sehr überdimensioniert wirkt. Wir haben Jotunheimen jetzt hinter uns gelassen, es geht sanft bergab, die karge Landschaft hat längst in ein Nadelwaldgebiet gewechselt. 

Wir finden uns nach und nach in einem sich herausbildenden Tal wieder, weiter links verläuft ein Fluss namens Dalsåne, der in den Heggefjord fließt. Ein Hinweisschild auf eine Stabkirche taucht auf. Wir verlassen die Straße nach links auf einen ausgefahrenen Wirtschaftsweg, der den Hang hoch verläuft. 

Nach dreihundert Metern wird es eng. Hier steht Auto hinter Auto. Ein gutes Stück weiter hinten endet der Weg vor der Kirche. Alles voll mit parkenden Autos. Das ist für uns zu eng. Ich wende und parke am Rand der Einfahrt des Wegs. Gehen wir lieber zu Fuß.

Die Stabkirche Hegge wirkt von außen moderner als die bisher besuchten Stabkirchen. Aber auch sie ist ein sehr altes Holzgebäude, ursprünglich im 13. Jahrhundert erbaut und seitdem häufig umgebaut. Die vielen Autos davor deuten darauf hin, dass sie heute noch in Benutzung ist.

Und offenbar sind wir mitten in den diesjährigen Konfirmationsgottesdienst geraten. Alles ist sehr festlich. Ein paar in dunkle Trachten gekleidete junge Frauen stehen vor dem Gebäude. Hinein können wir natürlich nicht, wir laufen um die Kirche herum über den weitläufigen Friedhof. Der ist wie üblich umzäunt, einen Zugang bietet nur die Pforte am Eingang der Kirche.

Nachdem es oben im kargen  Jotunheimen dunkel und stürmisch war, hat uns hier die Sonne hinter einer dünnen Decken heller Wolken vor einer lieblichen Landschaft begrüßt. Einfach nur auf der Bank vor der Kirche in der Sonne sitzen und den Wolken beim Vorbeiflitzen zusehen.

Der Gottesdienst ist zu Ende, viele Menschen strömen aus dem Gebäude. Voran ein Gruppe Jugendlicher, in weiße Messgewänder gekleidet. Sie stellen sich vor dem Portal auf, die Nachfolgenden gehen an ihnen vorbei, schütteln ihnen die Hände, gratulieren offensichtlich.

Dalsnibba - Lom - Jotunheimen. Das Video zum ersten Teil dieses Beitrags (#CK29). Auf Youtube.

Man kennt sich, Jung und Alt, Groß und Klein. Wie überall üblich, gehen einige Leute auf den Friedhof zu den Gräbern ihrer Angehörigen. Andere stehen beieinander und schwätzen. Nur langsam löst sich die Menge auf, die Autos füllen sich, fahren nach und nach ab, verlassen das Gelände und verschwinden auf der Straße. 

Auch wir verlassen den Kirchort, sehen noch einige der Autos vor und hinter uns fahren und nach und nach in Seitensträßchen oder Hofeinfahrten verschwinden. Auf sie alle werden gedeckte Tische und dampfende Sonntagsmahlzeiten warten.

Auf uns wartet Oslo. Weiter nach Süden: Unsere Touristenstraße 51 endet irgendwann an der E 16. Würden wir jetzt nach rechts, nach Westen abbiegen, landeteten wir viele Kilometer weiter wieder in Borgund und würden über Lærdal und durch den Lærdalstunnelen, den längsten Autotunnel der Welt, der das Aurlandsfjellet unterquert, weiter Richtung Bergen fahren.

Fagernes heißt dieser Ort, der um die Kreuzung herum gebaut ist. Wir halten hier, denn er liegt am Südende des Strondafjorden. Er hält aber nicht, was er verspricht. Es ist eher häßlich und provinziell, wir fahren schnell weiter. Später verlassen wir die E 16 wieder, es ist zwar auch nur eine zweispurige Straße, aber wir wählen die kleinere 33, die am Ostufer des Randsfjorden verläuft. 

Das Zurücklegen der Strecke liest sich schneller, als es in Wirklichkeit ist. Es dauert und dauert. Zeit für eine erneute Pause. Google Maps schlägt einen kleinen Jachthafen am Fjord vor, die Fluberg Båtbrygge og  badeplass. Von der Durchgangsstraße geht es über enge geteerte Wege kurvenreich runter zum Fjord, vorbei an kleinen und hübsch restaurierten Höfen, einer Kirche, einem geschlossenen Lokal. 

Unten am Wasser ist viel Platz zum Parken. Kaum jemand ist außer uns hier. Auf einer Wiese steht ein Tisch mit Bänken, genau richtig. Wir kochen Kaffee und packen die stilechten Zimtschnecken aus, die wir noch haben. Herrlich entspannend.

Jetzt die letzte Etappe, sie zieht sich. Irgendwann erreichen wir den Großraum Oslo, zu bemerken als erstes an der gestiegenen Verkehrsdichte. Wir näheren uns der Hauptstadt von Nordosten und müssen auf die westliche Seite. Der Wohnmobilstellplatz, den wir im Blick haben, liegt am Fjord. 

Ohne Navi wäre die Fahrt eine Katastrophe. Die Straßen werden jetzt alle breiter und mehrspurig, aber für uns Ortsunkundige ist die Orientierung an der Umgebung nahezu unmöglich. Vertrauen wir also dem Navi, Wir ändern ständig die Richtung, sind irgendwann auf einer stark befahrenen Stadtautobahn, wechseln auf eine andere Stadtautobahn, wechseln oft die Richtung, stehen vor Ampeln, unter- und überqueren andere Straßen.

Wir sollten jetzt am Ziel sein, aber nein, wir sind auf der falschen Seite der Autobahn gestrandet. Ich habe das Navi falsch interpretiert. Nochmal zurück in den letzten Kreisverkehr und die übernächste Abfahrt runter. Rein in das Hafengelände, einmal scharf links, geradeaus über eine kleine Brücke, wir sind da: Sjølist Bobilparkering. 

Der Platz ist riesig, er ist Teil eines Hafengeländes direkt am Kai. Ebenerdig und geteert. Wir suchen uns einen Platz und gehen in die Rezeption. 450 NOK für die Übernachtung sind mehr als viel, aber wir sind hier mitten in der Hauptstadt Norwegens. Strom ist inklusive, benötigen wir aber nicht, sanitäre Anlagen sind vorhanden, Ver- und Entsorgungsstelle ebenfalls. Es ist halt kein Campingplatz im Grünen, sondern ein Stellplatz in der Großstadt.

Wir nehmen die Räder vom Träger und fahren los in die Stadt. Das Radwegenetz ist sehr ordentlich, wir kommen schnell voran, es gibt keine brenzligen Situationen. In zehn Minuten sind wir am Ziel und schauen uns um.

Wir stehen vor dem Nationaltheater, links auf einem Hügel liegt das königliche Schloss. Norwegen ist eine parlamentarische Monarchie, das Staatsoberhaupt ist kein gewählter Repräsentant, sondern ein durch Erbfolge auf seine Position geratenes Mitglied einer Adelsfamilie, in diesem Fall einer Familie namens Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, kurz Haus Glücksburg.

Norwegen ist erst seit 1905 ein unabhängiger Staat und bildete bis dahin gut hundert Jahre lange eine Union mit Schweden, davor mit Dänemark, die jeweils die Unterordnung unter das gemeinsame Herrscherhaus umfasste. Die Norweger selbst entschieden sich mehrheitlich für eine Unabhängigkeit und für die Staatsform der Monarchie. Allerdings hat auch in Norwegen das Staatsoberhaupt rein repräsentative Aufgaben, die Regierungsgewalt liegt in den Händen gewählter Repräsentant:innen.

Die gewählten Vertreter:innen der fünfeinhalb Millionen Norweger:innen haben ihren Versammlungsort ein Stück weiter nach rechts, von unserem Standort aus gesehen: dem Storting. Übersetzt bedeutet das Wort Große Versammlung. Ting oder im Deutschen Thing bezeichnete in der germanischen Kultur Versammlungen zur Beratung und Rechtssprechung. 

Nur ein kurzes Stück in nordöstlicher Richtung entfernt liegt das Regierungsviertel, das im Jahr 2011 Schauplatz eines Bombenanschlags wurde, der dem Attentat auf der Insel Utøya vorausging. Der Attentäter verstand die Bombe, der acht Menschen zum Opfer fielen, als Ablenkungsmanöver für den Anschlag auf der Insel, in dessen Verlauf er 69 junge Menschen tötete. Als eine der Folgen des entsetzlichen Verbrechens wurde es notwendig, das Regierungsviertel zu erneuern, da viele Gebäude beschädigt worden waren, und auch andere Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen.

Ebenfalls nicht weit entfernt steht die Oslo Domkirke, der Dom von Oslo, ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit einem einzigen mächtigen Turm. Die Deckengemälde wirken erstaunlich modern, und tätsächlich wurden sie erst zwischen 1935 und 1949 vom norwegischen Maler Hugo Lous Mohr angefertigt. 

Zum Hafen hin gelegen fällt das rote und sehr hohe Rathaus von Oslo auf: ein kastenförmiges Gebäude, flankiert von zwei mehr als 60 Meter hohen massiven Türmen. Das Rathaus wurde gleich nach der Unabhängigkeit Anfang des 20. Jahrhunderts geplant. Der Bau verzögerte sich durch den ersten Weltkrieg drastisch und war soweit fertiggestellt, als der zweite Weltkrieg ausbrach. Auch infolge der deutschen Besatzung während des Krieges konnte die Einweihung erst im Jahr 1950 stattfinden.

Das Gebäude ist äußerst beeindruckend. Zum Haupteinang auf der Nordseite geht der Besucher vom Vorplatz mit seinen halbrunden Wohnhäusern, die in der Farbe des Rathauses gehalten sind, in der breiten Lücke zwischen den hohen und schattenwerfenden Türmen hindurch.

An der Frontseite sticht sofort die goldfarbene, aber in Wahrheit aus Bronze gefertigte riesige Statue der Oslopiken, des Oslogirls ins Auge, eine Arbeit des Bildhauers Joseph Grimeland von 1951.  Durch das Portal gehend gelangt er in die zwanzig Meter hohe zentrale Halle. An deren Stirnwand prangt ein riesiges Gemälde des Malers Henrik Sørensen, auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine Arbeit von Alf Rolfsen. 

Eine große Treppe führt auf eine Empore und in die Räume des ersten Stockwerks hinein. An der Ostwand der Halle verläuft ein Freigang. Im ersten Stock befinden sich große Repräsentationsräume sowie im Nordflügel der Plenarsaal des Stadtparlaments. Im Osloer Rathaus wird alljährlich der Friedensnobelpreis an die Preisträger:innen überreicht.

Im Keller sind die Klos, wo sonst. Für die Öffentlichkeit stehen bemerkenswert große und ordentliche Räumlichkeiten zur Verfügung. Das sogenannte Urinal beeindruckt mich durch seine schieren Ausmaße und die Aufschrift Johnson Fireclay Company, Stoke on Trent, England.

Interessanter Weise heißt nicht der Platz vor dem Rathaus so, wie man vermuten würde, nämlich Rathausplatz, sondern der zum Meer hin gelegene Platz auf der Rückseite und vor den Landungsbrücken der Schiffe. Uns hat die gleich nebenan befindliche Kaffeerösterei angezogen. Es dauert sehr lange, bis der Kaffee zubereitet ist, der Barista zieht jeden Handgriff unendlich in die Länge.

Dafür ist der Kaffee ausgezeichnet, ebenso die Backwaren, die wir dazu essen, während wir den Gesprächen der Leute um uns herum zuhören und nichts verstehen. Wer von ihnen arbeitet wohl im Rathaus? Der mittelalte Mann mit Bart und Jeans, der aussieht wie ein klassischer sozialdemokratischer Funktionär? Oder der Glatzkopf im Businessanzug? 

Am Kai entlang kommen wir am Nobel-Friedenszentrum und am Nationalmuseum vorbei. Hier beginnt das Vierel Akerbrygge, ein ehemaliges Industriegelände, das zu einem modernen Einkaufszentrum hochgejazzt wurde. Sanierte alte Hallen neben moderner Architektur, jede Menge Glas und Aluminium, gut besuchte Restaurants und Bars unterhalb der höhergelegenen und sicher auch höherpreisigen Wohnungen der Urban Professionals. 

Jetzt am frühen Abend tobt hier der Bär, aber als wir später auf dem Weg zurück zum Bobilparkering noch irgendwo einen Kaffee trinken wollen, sind die Bürgersteige hochgeklappt und die Gäste aus den Inlokalen rausgekehrt.

Für uns ist erst einmal Abendessen angesagt. Wir fahren ein Stück raus aus der Innenstadt und landen in der Sofies gate bei Sofies mat og vinhus - Sofies Speise- und Weinhaus. Reiner Zufall. Leichtes Bier, nettes Ambiente, freundliche Leute und authentische norwegische Küche. Kartoffeln, Möhrenstampf und geschmortes Fleisch. Frisch und lecker und kaum teurer als in Deutschland, unglaublich.

Was wir auch noch sehen: ruhige grüne Viertel mit kleinen Holzhäusern und autofreien Straßen; große Viertel mit klassizistischen Stadthäusern; Bigcityhektik mit schnell dahinfahrenden Autos, gelenkt von rücksichtslosen Fahrer:innen - da fühlen wir uns gleich wie zuhause; die Läden entlang der Karl Johans Gate, so eine Art Osloer Kö; eine merkwürdig lange Schlange vor der Filiale der DNB-Bank - so als stünden Panikabhebungen der Guthaben an; die lange schräge Rampe des barrierefreien Zugangs zur U-Bahnstation Stortinget; eine Gruppe burgermapfende junge Frauen im Fenster von Max Burgers - erinnert an Abbildungen des letzten Abendmahls; die Programmvorschau am Victoria Nasjonale Jazzscene.

Det kongelige Slott: Der Platz vor dem Schloss ist riesig und leer, die Sonne brennt und lassen die 15 Grad gleich doppelt so heiß erscheinen. Links in der Ecke liegt eine schwarz-rot gekleidete Frau auf einer Bank. Die rechte Hand hält das Smartphone in die Höhe, die linke gestikuliert ausufernd in der Luft. Ich bin überhaupt erst durch die kräftige Bewegung auf das Bild aufmerksam geworden.

Mitten auf dem Platz die große Reiterstatue des Königs Karl Johan. Man muss zugute halten, dass sie kleiner ist als die scheußliche Kaiserstatue am Deutschen Eck in Koblenz. Vor dem Eingang des Schlosses dreht ein einsamer Soldat seine Runden. Er trägt einen Hut mit langer Quaste, die ihm ständig ins Gesicht fällt. Weniger lustig sieht das moderne Schnellfeuergewehr mit aufgesetztem Bayonett aus. Aber schließlich bewacht er das Königsschloss. Das ist eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe, die mit Sicherheit nur ausgewählten Soldaten vorbehalten ist.

Der junge Soldat wird natürlich ständig fotografiert, Gruppen stehen um ihn herum, er ist ausgesucht höflich und bietet an, dass die zu fotografierenden Personen sich neben ihn stellen. 

Unterhalb des Schlossparks versuche ich, die Bezeichnung eines Gebäudes zu entziffern. Das dauert recht lange: Norges utenriksdepartment - das norwegische Außenministerium. Bevor ich das für mich übersetzen konnte, steht ein Mann mit Anzug und Krawatte vor mir. Er hat sich aus einer Gruppe von Leuten vor der Tür des Ministeriums gelöst und eilte auf mich zu. Ein Sicherheitsbeamter.

Zückt er seine Waffe? Will er mich bitten weitezugehen? Ich hatte einmal frühmorgens in Berlin eine Begegnung mit den Bodyguards des damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe. Der stieg gerade aus dem Auto, als ich vorbeiging. Der Bodyguard kam auf mich zu, die Hand am Hosenbund unter dem Jacket. Nicht gerade beruhigend.

Aber nein, der Mann hier will nur helfen. Er erklärt uns, vor welchem Gebäude wir stehen, und fragt, woher wir kommen, und was wir noch vorhaben, uns in der Stadt anzusehen. Daraus entwickelt sich ein freundliches und sehr informatives Gespräch. Immer wieder beeindruckt bin ich von dem hervorragenden Englisch der Norweger. 

Wir haben nur einen kleinen Ausschnitt dieser großen Stadt gesehen, sind nicht systematisch vorgegangen, waren in keinem Museum, sondern haben uns treiben lassen, wie wir es gerne tun in Städten. Wir waren am Sonntagabend und am Montagvormittag in Oslo. Dann mussten wir weiter, raus aus der Stadt, Richtung Schweden. Die Eindrücke unseres Besuchs  nehmen wir mit. Den Wunsch wiederzukommen ebenfalls.

Oslo - Jotunheimen - Hegge. Das Video zum zweiten Teil dieses Textes (#CK30). Auf Youtube

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