An der Lahn

Zur Zeit bin ich Herr meiner Zeit. Montags habe ich einen Termin in Idstein, Dienstag will ich in Montabaur sein. Ich nutze die Gelegenheit, einmal alleine mit dem Camper loszuziehen. Mein Ziel ist die Lahn.

Mein Termin in Idstein beginnt um 10:30 Uhr. Ich packe frühzeitig mein Reisegepäck zusammen und gehe recht schwer beladen, Rucksack und Reisetasche, los. Ich habe zwei Fotoapparate, das MacBook, zwei Kladden und Bücher dabei, außerdem Lebensmittel und Kleidung zum wechseln. Jetzt muss ich das ganze Zeug zum Auto zu tragen. Wie immer bin ich erleichtert, den Camper unbeschädigt vorzufinden. Ich fahre als erstes zum Stellplatz, um Wasser aufzufüllen. Auf der Biebricher ist ein kleiner Stau vor dem zweiten Ring, Arbeiter machen irgendetwas an den Grünanlagen. Erscheint nicht so die passende Tageszeit zu sein. Aber es dauert nicht lange. Ich muss nur Geduld haben. Am Stellplatz ist gerade ein 6-Meter-Ducatokasten am Wasser, ich sehe keinen Menschen, aber  im Bad bewegt sich etwas. Ich fahre an dem Kasten vorbei, um rückwärts zum Wasseranschluss vorzustoßen, aber der andere Camper fährt schon los. Ich hole den Schlauch und befestige ihn, werfe 50 Cent ein und starte. 

Ich fahre durch die Stadt, über den zweiten Ring und hoch zur Platte nach Idstein. Ich bin noch früh, wie ich es gewollt habe, und kaufe noch ein. Ich stelle den Ducato auf den Rewe-Parkplatz, er passt fast hinein, und kaufe Obst - Äpfel, Birnen, drei Bananen, Quinoa, Dahin, zwei Laugenbretzel, ein kleines Stück Bergkäse für die Bretzel, Mandarinen. Es läppert sich. Dann ist es Zeit für meinen Termin. 

Gestern hatte ich mir grob eine Strecke überlegt: durch den Hochtaunus über Waldesch, Waldmünster nach Weilburg, dann die Lahn entlang bis Dietkirchen. Dort will ich an der Lahn gegenüber der Kirche Sankt Lubentius die Nacht über stehen bleiben. Die Strecke ist schön und mir großenteils unbekannt. Die Kreuzung in Waldesch-Ems mit der B 8 kenne ich noch gut, schon aus der Kindheit, aus Fahrten mit der Familie nach Frankfurt und später nach Schwalbach zu den Großeltern. In einem der kleinen Orte biege ich falsch ab und gelange in eine Sackgasse, merke das aber erst im nächsten Dorf. 

Durch große Waldareale und über Felder geht es, durch interessante kleine Orte, die einen im Tal, die anderen oben auf dem Hügel. Es sind erstaunlich viele Linienbusse unterwegs, sie kommen von allen Seiten, von vorne, von hinten. Ich fühle mich ein wenig gescheucht. Und da sagen die Menschen auf dme Land gerne, es gäbe keinen öffentlichen Nahverkehr.

Waldmünster ist ein etwas größerer Ort, aber auch schnell durchfahren, dann geht es durch ein langes, gewundenes Tal, rechts führt eine Straße zu einer tiefen Höhle, in die ich vor ein paar Jahren mal hinunterklettern konnte. Dann bin ich am Lahnufer, biege rechts ab und erreiche Weilburg. 

Vor dem Tunnel biege ich links auf eine Nebenstraße ab. Sie führt zu einem großen, aber geschlossenen Wohnmobilstellplatz. Auf dieser Straße, unterhalb des Altstadtberges und am Rande der Lahn, parke ich am Straßenrand. Jetzt bereite ich mir erst einmal mein Müsli zu, time for breakfast. Die Sonne scheint, es ist schön, obwohl ich im Auto bei geschlossener Tür sitze. Es fahren Autos vorbei, es passieren auch einige Fussgänger, die wenigsten registrieren, dass ich hier im Auto sitze. Als erstes kommt ein laut schimpfender Mann. Er macht einen verwirrten Eindruck. Zum Glück sieht er mich nicht, sonst würde er mit mir schimpfen wollen und ich müsste dann mit ihm schimpfen. 

Nach dem Frühstück verlasse ich das Auto, ein Stück weiter befindet sich eine Fußgängerbrücke, über die gehe ich auf das andere Lahnufer. Dort ist Wald, ich gehe den Weg entlang der Lahn, der mich den Berg hinauf führt. Ich hoffe, dort einen schönen Blick auf die Stadt zu bekommen. Der Weg lässt sich gut gehen, er ist geteert, auf der Höhe geht es auf Schotter weiter bis zum Ende, dort am Felsabhang steht eine kleine Aussichtshütte. Sie bietet den erhofften Blick. 

Nach meiner maps.me-Karte führt ein Weg runter zum Ufer und zu einer anderen kleinen Brücke über die Lahn. Den gehe ich entlang. Es geht bergab, nach dem Regen ist es glitschig, das bin ich nicht mehr gewohnt. Ich habe keine Lust zu fallen und passe auf. Als ich fast unten bin, nachdem ich etliche Male gut aufgepasst habe, um schwierige Stellen herumgegangen bin, stets langsam und konzentriert, rutsche ich aus und falle wie in Zeitlupe hin, Hose und Jacke kriegen ordentlich was ab. Na großartig. Ich denke, ich lasse es trocknen und bürste es dann mit der groben Bürste, die hinten in der Gasflaschenbox ist, ab. 

Jetzt gehe ich weiter, komme ans Lahnufer, gegenüber der Einfahrt in den Schiffstunnel. Der ist gesperrt, offenbar wegen Corona. Ich suche den Weg zurück die Lahn entlang, es kommen noch einige schöne Stellen mit Ausblicken auf den kleinen wilden Fluss und die hochgebaute und teilweise hässliche Stadt. Der Weg ist aber nicht nutzbar, ein Band sperrt ihn wieder ab. Ich muss den Weg zurück nehmen, den ich gekommen bin. Ich mag das Bergaufgehen, weil es mich anstrengt, bin schnell oben, am Ausblick sind zwei Paare unterwegs, zurück ins Tal und über die Brücke. 

Am Auto angekommen bürste ich meine Kleidung sauber, es funktioniert, der Dreck geht ab. Jetzt in die Altstadt. Sie ist hübsch, aber tot. Die Stadt ist schon lange etwas heruntergekommen, jetzt aber in der Coronazeit ist es sehr traurig, die Geschäfte sind zu, es sind nur wenige Menschen auf den Straßen unterwegs. Die meisten vermutlich Besucher von außerhalb, so wie ich. Ich gehe in den Schlosspark, der bietet einen tollen Blick ins Tal, es gibt große Bäume, ordentlich angelegte Baumreihen, Springbrunnen, Bänke. Durch einen Innenhof geht es wieder raus aus dem Schloss, ich finde eine Gasse runter auf die andere Seite. Die Lahn umrundet die Altstadt um fast 360 Grad, sie liegt  wie eine Insel im Wasser. Von der Brücke hat man einen guten Blick auf die Altstadt und das Schloss auf dem hohen Lahnfelsen. 

Jetzt möchte ich gerne weiterfahren. Ich hatte mittags schon eine Kanne Kaffee gekocht und eine Tasse getrunken, ich möchte gerne mehr, aber das an einer schönen sonnigen Stelle an der Lahn. Ich fahre die Strecke zurück und raus aus der Stadt Richtung Runkel. Statt die Straße nach Weilmünster zu nehmen, bleibe ich rechts am Lahnufer. Auch diese Straße verlässt das Ufer, steigt stark an und macht einen ordentlichen Linksbogen. Ein Stück später biege ich rechts ab nach Graveneck. Hinter dem Ort geht die Straße steil bergab und mit einer Serpentine zurück ans Lahnufer. Eine einspurige Brücke, den Verkehr regelt eine Ampel. 

Hinter der Brücke sehe ich einen Weg, der breit genug für das Wohnmobil ist. Den fahre ich hinein. Hier trinke ich jetzt meinen Kaffee in der Sonne. Der Blick ist schön, eine Wiese, die Lahn, der Felsen mit dem Dort auf der Höhe, die Bahnlinie verläuft unter der Straße. Ich gehe ein Stück über den Weg entlang der Wiese. Gegenüber befindet sich ein Campingplatz, den Wegweiser habe ich bei der Abfahrt gesehen. Er ist natürlich geschlossen. Es stehen ein paar Tipis herum, In Weilburg standen auch ein paar Tipis unterhalb der Altstadt. Dann gehe ich auf die Brücke, die Lahn sieht hier sehr schön und unberührt aus, das weiche Licht und das erste Grün sind einfach herrlich anzusehen. Ich werfe einen Blick ins Tunnelportal, das andere Ende ist durch ein Schimmern schon zu erahnen. 

Weiter geht die Fahrt. Ich habe vergessen, die Tasse und die Warmhaltekanne ordentlich zu verstauen, beides fällt herunter, zum Glück sind sie aus Edelstahl. Ich kann erst nach ein paar hundert Metern wieder anhalten. Das nächste Dorf heisst Wirbelau, wieder mal größer als erwartet, die Straße steigt weiter an, oben auf der Höhe kreuzt sie eine andere, aus Weilburg kommende Straße. Hier geht es links nach Runkel. Dieser Straße folge ich. Nach ein paar Kilometern öffnet sich der Wald, der Blick reicht in alle Richtungen kilometerweit, im Süden sehe ich den Feldberg, in der anderen Richtung den Oberwesterwald. In einer Kurve bietet sich wieder eine Gelegenheit zum stoppen. Ich fahre in einen kleinen Feldweg und schaue mich um. 

Zwei Motorräder halten ebenfalls, ich denke schon, wegen mir, aber der eine hat offenbar etwas an seinem Krad, was nicht in Ordnung ist. Sie tragen Integralhelme, wir nicken uns zu. Dann ziehen sie die Helme ab, es sind noch sehr junge Männer, ihnen gefällt die Aussicht ebenfalls. Ich fahre weiter, muss ein paar Autos vorbeilassen und stoße rückwärts raus, Mit der Kamera und ein bisschen Erfahrung ist das einfach, aber ich kriege einen Daumenhoch von dem einen Motorradfahrer. Sie staunen offenbar über das Motorengeräusch, das das Automatikgetriebe offenbart.  

Runkel ist schnell erreicht, in den Randbereichen ist der Ort so hässlich wie alle Orte, aber an der Lahn gibt es eine alte Brücke und gegenüber eine ebenso alte Burg, die Burg Runkel. Und gleich gegenüber noch eine Burg, die Burg Schadeck. Das alles liegt mehr oder weniger in meiner Heimat, aber ich kenne es kaum. Runkel nur vom Durchfahren. Ich mach eine paar Fotos. Weiter geht es nach Dehrn, dort über die Lahnbrücke Richtung Eschhofen. Die Straße führt durch eine breite Lahnaue, grün und mit einzelnen sehr großen Bäumen. Sankt Lubentius ist schon von weitem zu sehen. 

Die Lage dieser Kirche ist einzigartig: hoch auf einem steilen Felsen oberhalb der Lahn. Die Kirche ist kleiner als der Limburger Dom, aber auch sie hat einen Doppelturm. Die Türme sind weit oben durch eine hölzerne Brücke miteinander verbunden. Das muss es in Limburg auch einmal gegeben haben. Sankt Lubentius ist älter, im Kirchenschiff erkennt man die romanische Gestaltung - kleine Fenster und eine ebene Decke. Wir haben vor 17 Jahren dort eine Spielszene für die DVD über den Limburger Dom gedreht. Im Auftrag des Domkapitels, das sich später nicht mehr für die Arbeit interessierte und nicht in der Lage war, den Verkauf zu organisieren, in einem Dom, der von Besuchern geradezu überrannt wird. Alles Geschichte.

Ich trinke den restlichen Kaffee. Dann will ich raus, das Wetter ist zu schön, Ich gehe über die Brücke, am Spielplatz gegenüber sind viele Familien zugange. Mir kamen auch schon Radfahrer und Nordicwalker entgegen. Hier wird man, wie überall in der Provinz, gerne mal auffällig unauffällig angestarrt. Einer Frau haben es meine Tadeevo-Barfussschuhe angetan. Auf dem Land ist Individualität nicht so verbreitet und auch nicht gerne gesehen. Egal. Ich nehme den Lahnweg Richtung Dehrn, die andere Richtung kenne ich schon, hier bin ich entlang gegangen. Der Weg verläuft direkt unterhalb der Kirche, ein unerschöpfliches Fotomotiv, grandios anzuschauen. Davor ist ein Stück offizielle Straße, am Rand einige Parkplätze. Sie sind in Park4night ausgewiesen. Das Auto steht einfach in einer Parkbucht, aber ebenerdig. Wenn man hier in Ruhe gelassen wird, ist es ein schöner Platz: Blick auf die Kirche und auf die Lahn. 

Ich laufe bis Dehrn, es sind knapp 2 Kilometer, überquere dort die Lahnbrücke, die ich vorher mit dem Auto gefahren bin. Danach muss ich aber zunächst links, weil es sonst nur die enge und starke befahrene Straße gibt. Der Weg führt in einen großen Wald, den ich schnellen Schrittes durchquere, bis ich wieder in die grüne Lahnaue gerate. Jetzt, zu Fuss, habe ich Gelegenheit, mir alles in Ruhe anzuschauen, Fotos zu schießen, die Sonne zu genießen. Es sind einige Leute unterwegs, alle genießen das lange vermisste Frühlingswetter. 

Schließlich bin ich wieder am Wohnmobil angekommen, gehe nochmal auf die Brücke, dann ins Auto. Jetzt heisst es, den  Omnia-Ofen in Betrieb zu nehmen. Es ist nicht viel zu beachten. Gut, dass ich den Silikoneinsatz gekauft habe, so erspare ich mir die aufwändige Reinigung der Blechform. Ich schneide Süßkartoffeln und Bohnen, fülle beides in den Omnia, die vorbereiteten Kichererbsen dazu. Den Ofen anheizen und warten. Parallel koche ich Quinoa und bereite ein wenig Tahin zu. Ich lasse dem Ofen eine Dreiviertelstunde Zeit. 

Draußen ist es noch schön hell, Leute kommen und gehen, Autos werden geparkt und entfernt. Manche Leute gehen mit Getränken ans Ufer, aber irgendwann sind alle weg. Ich esse in Ruhe, spüle anschließend das ganze Geschirr, räume etwas auf. Es ist noch hell draußen, ich gehe nochmal raus auf die Brücke. Gegenüber auf dem Straßenparkplatz steht jetzt ein Wohnmobil, ein Ford Transit mit Hochdach und Fahrrad hintendrauf. Die Kirche spiegelt sich im Abendlicht in der Lahn. Später geht die Außenbeleuchtung an, das Bild ist noch interessanter. 

Ich setze mich wieder ins Auto, auf die Dinette, koche mir eine Kanne Tee, packe das MacBook aus und schreibe ein paar Texte.  Das beschäftigt mich den ganzen Abend, es wird sehr ausführlich. Es wird dunkler, ich ziehe nach und nach den Sichtschutz vor, schalte die kleine Batterielampe ein, die Ingrid gekauft hat. Die Heizung lasse ich ausgeschaltet, obwohl es später kalt wird. Werde ich halt zeitig ins Bett gehen, das ist warm mit den vielen Decken, die  zur Verfügung stehen. Ich hoffe, ich muss nicht zu oft raus heute Nacht.  

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