Auf den Spuren des Götz von Berlichingen

Der Sonntag unseres Ausflugs an die Jagst bringt uns an sehenswerte historische Stätten. Verbunden mit himmlischer Ruhe. 

Natürlich bin ich wieder früh wach. Ich wundere mich über die Geräusche. Ist der Kühlschrank wirklich so laut? Außerdem ist es warm. Mir dämmert: ich hatte im Schwarzwald die Zeitschaltuhr für die Heizung aktiviert, so dass sie sich um 6 Uhr ein- und um 8 Uhr wieder ausschaltet. Diese Funktion hatte ich nicht deaktiviert, das heißt, die Heizung hat die ganze Zeit über morgens das Auto und das Duschwasser gewärmt. Na so was Dummes. Aber jetzt ist es warm. 

Ich stehe auf und setze Wasser auf, fülle Kaffee in die French Press. Der Kaffee ist fertig und wird im Bett getrunken, während es draußen hell wird. Jetzt ist im Osten schon die Sonne zu sehen. Alles ist ruhig, ich öffne den Sichtschutz an den Seitenfenstern. Erste Schritte nach draußen, die Temperatur ist angenehm. Ich koche noch eine zweite Kanne Kaffee, wir füllen die Kanne erneut und fahren los. 

Durch die Hügellandschaft und wunderliche kleine Orte führt uns der Weg zurück ins Tal. Von weitem sehen wir schon die Türme der Kirche des Klosters Schöntal. Das steuern wir an. Es gibt einen großen Parkplatz. Hier steht ein VW T4 mit langem Radstand und ordentlichem Hochdach, umgebaut zum Camper. Eine Familie mit Kind und Hund hat hier übernachtet und lässt jetzt den Tag langsam angehen. Wir spazieren über das Gelände. Ich bin 1985 zur Bundeskonferenz meines Jugendverbandes, der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG)  hier gewesen, erinnere mich noch an die großen Räume. Der Abt Knittel hat hier gewirkt und seine Knittelverse an den Türen verewigt. Die KJG hatte damals das Prinzip Redefluss durch Reissverschluss beschlossen und erstmals umgesetzt. Die Regel sieht vor, dass im Wechsel immer eine Frau und ein Mann reden. Visionär!

Der nächste Halt ist in Jagsthausen, wieder ein hübscher kleiner Ort. Am Ortseingang steht eine alte Burg, die unter dem Namen Götzenburg bekannt ist, nach Götz von Berlichingen, der Dramafigur in Goethes gleichnamigem Theaterstück aus dem Sturm und Drang, der historisch reale Götz hat seine Kindheit hier verbracht. Heute ist der massive Bau ein Hotel, allerdings coronabedingt geschlossen. Es finden offenbar regulär Theateraufführungen statt, darauf weisen Werbetafeln aus 2019 und 2020 hin. Corona hat auch hier das Leben ausgebremst, faktisch angehalten und eingefroren. Also weiter. 

Nächster Halt ist Möckmühl. Die Fachwerkarchitektur war uns auf dem Hinweg aufgefallen. Wir suchen ein wenig nach einer passenden Parkmöglichkeit, lassen das Auto stehen und gehen in die sonntagsmorgendlich leere Kleinstadt. Die Eisdiele hat auf und wird schon frequentiert. Ein paar Wanderer sind unterwegs. Wir suchen den Weg hoch zur Burg, über steile Treppen, vorbei an schönen alten Häusern. Wir finden die Burg und gehen auf das Gelände. Ein Mann in Arbeitsmontur schaut uns fragend an und sagt irgendwas, was ich aber nicht verstehe. Es sieht wüst aus auf dem Gelände, offenbar wird gerade renoviert. Kein Grund zu verweilen. Auf dem Weg raus sehen wir, dass am Eingangstor Privatgelände steht. Deshalb hat der Mann reagiert. Na ja. Zurück runter in die Stadt. Ein älterer Mann, mit einem anderen älteren Mann unterwegs, sagt etwas und das offenbar zu uns. Wir verstehen schon wieder nicht. Reden die hier so undeutlich oder sind wir über Nacht taub geworden? Er will uns einen Infozettel holen. Wir lehnen dankbar ab, denn wir wollen nicht bleiben. In dem pseudomodernen hässlichen Gewerbegebiet auf dem anderen Flussufer hatten wir zuvor Ausschau nach einer geöffneten Bäckerei gehalten. So etwas scheint es in Möckmühl nicht zu geben, oder sie verstecken es gut vor Besuchern. 

Jetzt wird es aber Zeit für das Frühstück. In Siglingen sehen wir eine gute Parkmöglichkeit am Ufer. Dort essen wir unser Müsli und trinken reichlich heißen Kaffee. Wir stehen am Jagstradweg, es sind viele Radfahrer:innen unterwegs, kein Wunder, das Wetter ist schön. Auch viele Fußgänger kommen vorbei, schauen mit Interesse auf das rote Wohnmobil, sie sind wohl aus dem Ort, führen ihre Hunde Gassi oder genießen einfach so den freien Sonntag. 

Wir beschließen, nicht bis zur Jagstmündung weiterzufahren, sondern über Land Mosbach anzusteuern. Dazu biegen wir bei nächster Gelegenheit rechts ab. Die bietet sich in Neudenau. Quer über das Land geht die Fahrt nach Mosbach, ungewohnt groß und weitläufig nach all den kleinen Orten. Wir wollen einen Blick in die Altstadt werfen, lassen Camperkalli an einer geeigneten Stelle stehen und gehen in die Fußgängerzone. Zu Beginn sehen wir einen Eisladen. Jetzt ist kein Halten mehr. Ingrid hatte morgens schon davon gesprochen, dass heute ein Eis fällig ist. Jetzt holt sie uns zwei Waffeln, ich nehme Walnuss und Amarena. In der Stadt sind viele Leute unterwegs, zu viele. Überall hängen Hinweistafeln auf die Maskenpflicht, kaum jemand hält sich daran. Offenbar glauben sie, wenn man die Pandemie ignoriert, gibt es sie auch nicht. 

Gegenüber der Eisdiele ist mir eine lebensgroße Frauenfigur aufgefallen. Überall sehen wir Figurengruppen, leider ohne Beschriftungen oder Hinweise, nette, lustige Gruppen: hier nebeneinander sitzende ältere Frauen, die interessiert das Geschehen auf der Straße beobachten; auf dem großen Platz zwei tanzende Paare, Personen mit Koffern, eine Gesellschaft an einer Tafel, gerade in eine Mahlzeit vertieft. Sehr hübsch. Außerhalb der Innenstadt ist Mosbach genauso hässlich wie jede andere Kleinstadt. 

Wir halten letztmals in Eberbach, beschließen, uns am Neckarufer einen Platz zu suchen. Hier stehen bereits andere Wohnmobile, wir stellen uns dazwischen. Ich koche Kaffee, wir essen dazu den restlichen Kuchen. Leider gibt es keine Möglichkeit, draußen zu sitzen, es ist auch schon kühler geworden, von Westen ziehen mit großer Geschwindigkeit Wolken herüber. 

Die Straße nach Heidelberg ist gesperrt, die Umleitung führt über Beerfelden. Wir wählen die Strecke durch den Odenwald über Lindenfels. Mit jedem Meter, den die Straße ansteigt, nimmt die Außentemperatur ab. Von mittäglichen 18 Grad geraten wir in eine Temperatur von sage und schreibe plus vier Grad Celsius. Es regnet jetzt. Die Straße verläuft durch tolle Landschaften, immer stetig bergauf bis Lindenfels, danach wieder bergab bis Bensheim. Die Sicht oben ist sehr schlecht, Regen und dicke Wolken. 

Hinter Lindenfels wird es schnell uninteressant. Man sieht nicht mehr, wo ein Ort aufhört und der nächste anfängt, ein endloses Band entlang wiederkehrender Supermärkte und Gewerbebetriebe. Kurvenreich und geschwindigkeitsbegrenzt. Langweilig. Endlich in Bensheim angekommen sind wir bald auf der Autobahn 5. Jetzt regnet es stark. Ingrid verteilt den restlichen Kaffee in unsere hübschen Thermobecher. Ich stelle den Tempomaten auf ungefähr 105 km/h. Damit muss ich auf die linke Spur und ziehe locker an den meisten Autos vorbei. Die Sonntagsfahrer haben Angst vor den Regentropfen und gefährden lieber anderer durch langsames Fahren. 

So tuckern wir gemächlich zurück nach Wiesbaden, zunächst zum Wohnmobilstellplatz. Wir spülen noch schnell, bevor wir das Grauwasser ablassen. Ein Kastenwagen mit Hannoverkennzeichen wartet darauf, auch Grauwasser zu entsorgen. Wir werden fertig und verschwinden, fahren zum Bahnhof und stellen unser Wohnmobil ab. Alle Fenster mit Sichtschutz verschließen, die Stromversorgung der Aufbaubatterie abstellen und das Auto verschließen. Dann gehen wir durch die eiskalte Stadt nach Hause. 


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