Wandern im Dahner Felsenwand

Pfingsten im Pfälzerwald, drei lange Tage. Ingrid hatte es kurzfristig geschafft, uns einen Platz auf einem Campingplatz zu reservieren. Das erste Mal auf einem Campingplatz - kann das gut gehen? Hier der Blick auf Tag 1, den Samstag.

Zwei Nächte unterwegs, Pfingsten macht es möglich.  Wir fahren ins Dahner Felsenland. Schon die zweite Anfrage war erfolgreich. Der Platzwart war ganz entspannt: Ja, kommt nur vorbei, wir finden einen Platz für Euch. Als gelernte Frühaufsteher sind wir um 9 Uhr abfahrbereit. Eigentlich wollen wir unser Gepäck nehmen und zum Parkplatz gehen, aber es ist, alleine wegen der vielen Lebensmittel, die wir wegen der notwendigen Autarkie mitnehmen müssen, sehr viel Gepäck geworden, es wäre unschön, das alles so weit zu tragen. Also biete ich mich an, das Auto zur Wohnung zu holen. Gesagt, getan, ich finde sogar einen freien Platz vor dem Haus, wir laden ein, ich renne nochmal aufs Klo - der viele Kaffee fordert seinen Tribut, und schon können wir losfahren. 

Erste Station, wie meistens, ist der Wiesbadener Wohnmobilstellplatz am Kallebad. Den steuern wir an, um den Wassertank aufzufüllen. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob es auf dem Campingplatz möglich sein wird, zu ver- und entsorgen, also gehen wir auf Nummer Sicher, auch wenn es eine Viertelstunde kostet. Niemand ist vor uns, es geht schnell, der Tank ist auch noch laut Anzeige zu 66 Prozent gefüllt. Jetzt geht’s wirklich los, hoch auf die Autobahn, über die Schiersteiner Brücke, den Mainzer Ring entlang und auf die A 60 nach Süden. Geplant ist, über Kaiserslautern zu fahren, aber das Navi meldet einen Stau und empfiehlt die Strecke über die A63 und A 65. Also Richtung Ludwigshafen und am Kreuz Mutterstadt ab in die Pfalz. 

Es fällt schon in Wiesbaden auf und auf der ganzen Strecke noch mehr, dass sich der Lockdown gelockert hat. Wir begegnen einem Ducato-/Jumper-/Boxer-Kastenwagenwohnmobil nach dem anderen. Und natürlich jede Menge "Weißware", Integrierte, Teilintegrierte. Viele in der Gegenrichtung, viele in unserer. Wir überholen welche und werden von welchen überholt. Ich habe den Tempomaten auf knapp über 100 km/h eingestellt und lasse den Ducato niedrigtourig rollen. Es ist allerdings recht stürmisch, so dass ich das Lenkrad mit beiden Händen festhalten muss und auf Brücken oder exponierten Stellen sogar die Geschwindigkeit reduziere. Der Kasten ist windanfällig, das ist kein Wunder bei der Höhe von 2,60 Meter. Es sind auch PKW mit hohen Anhängern unterwegs, für die ist es noch weit schwieriger, auf der Straße zu bleiben. 

Mit dem Kasten und der gewählten Geschwindigkeit muss ich doch mehr jonglieren als mit dem PKW. Immer den rückwärtigen Verkehr im Blick behalten, beizeiten die Lücke nutzen, um zu überholen. Ich will ja niemanden ausbremsen, aber im Zweifelsfall muss der von hinten Kommende mal kurz vom Gas. Niemand beklagt sich, zumindest heute nicht. Auf der A 65 ist immer noch die Baustelle, wir zockeln mal wieder mit 60 auf der rechten Spur, denn die Zweimeter-Spuren links sind für uns Tabu. Sie geht aber auch vorbei, die Baustelle. 

In Landau-Süd biegen wir auf die B 50 Richtung Pirmasens ab. Es herrscht deutlich mehr Verkehr, die Straße ist anfangs noch vierspurig, dann verengt sie sich auf zwei Spuren, wobei im Wechsel jede Richtung immer wieder eine Überholspur bekommt. In unserer Richtung ist Auto an Auto unterwegs. Ab und zu ein Lastzug,  mit den 160 PS und der Automatik ist das Überholen easy. Klasse. In Hinterweidenthal verlassen wir schon die B 50 und fahren über die B 427 nach Dahn. Das Navi bringt uns direkt zum Campingplatz. Es ist noch vor zwölf, so dass wir noch vor der Mittagsruhe einchecken können. Campingplätze haben merkwürdig konservative Regeln, dazu gehören auch Ruhezeiten mittags. Ist der Platz geschlossen, kommst du weder rein noch raus. 

Der Platzwart fährt mit dem Fahrrad vor uns her zu unserem Stellplatz. Unser Platz liegt auf einer längeren Wiese, ein wenig abschüssig. Links und rechts und gegenüber des Schotterwegs stehen schon einige Kästen. Ich parke ein, wir stehen schief und beschließen, jetzt einmal die Thule-Keile einzusetzen. Also Keile raus, vors Auto gelegt. Ingrid muss dirigieren. Ich fahre los, der Wagen will nicht hoch. Traktion-Plus aktiviert, jetzt geht es besser. Nur nicht zu viel Gas, sonst sind wir drüber. Ingrid winkt, ich stoppe. Gut so. Wir sind auf Stufe 2 von drei möglichen, am linken Vorderrad stehen wir nicht ganz exakt, aber es geht so. Wir stehen nicht absolut eben, aber das ist schon in Ordnung. 

Jetzt das nächste Novum für uns: wir fahren die Markise raus. Das geht sehr flott. Dann die Thule-Seitenwand. Nicht ganz selbsterklärend auf den ersten Blick, aber dann geht es doch besser als befürchtet.Zwei kurze Stangen verbinden sich zu einer langen. In die Schiene hinein wird die Kunststoffhaut geschoben, anschließend die Querstange an der Markisenbasis am Autodach sowie am oberen Ende der Markisenstange in dafür vorgesehene Öffnungen gelegt. Ich muss die Markise wieder ein paar Zentimeter eindrehen, dann passt es.wie angegossen. Die Wand steht. Heringe und Gurte sind auch dabei, damit fixieren wir sie an den Streben und am Boden. Als nächstes feiert der Vorzeltteppich Premiere. Er ist recht groß und deckt die Fläche unter der Markise weitgehend ab. Mit Heringen wird er an vier Ecken fixiert. Die Stühle, der Tisch, fertig ist die Außenanlage. Was für ein Luxus. Richtig gemütlich. Jetzt gibt es erst einmal Kaffee. 

Dann wollen wir aber in den Ort, Kuchen und Brezel oder ähnliches kaufen, solange die Chance besteht, dass noch eine Bäckerei geöffnet hat. Der  Ort ist nah, die Wanderwege gehen gleich am Platz los, denn der liegt mitten im Grünen, von den typischen Felsen umgeben, die der Gegend ihren Namen geben. Auf einige kann man hinauf klettern. Toll. Im Ortszentrum finden wir zwar keine Bäckerei, aber etwas weiter die Straße entlang taucht ein großer Edeka auf. Der hat auch einen richtigen Bäckereistand, wie das mittlerweile üblich ist. Wir kaufen zwei Schnitten Rhabarberkuchen und einen runden kleinen Apfelstreusel, es sind ja noch ein paar Tage. Ach ja, und zwei Laugenbrezel werden es auch wieder. 

Draußen fällt mir ein, dass es ja schön wäre, einen regionalen Wein zu trinken. Da ist der Edeka-Getränkemarkt, gleich nebenan. Wir gehen rein, es gibt Fahrrad- und Autozubehör, unter anderem eine Induktionsplatte zum drahtlosen Aufladen von Handys. Ich kann mich gerade noch zurückhalten. Es gibt jede Menge Bier, alle möglichen Sorten. Nur Wein gibt es keinen. Also zurück in den Edeka. Der hat eine schöne Weinauswahl, viele regionale Pfälzer Weine, direkt vom Winzer. Weine mit Vor- und Zunamen. Weiße und graue Burgunder, Rieslinge, sogar Gewürztraminer. Dornfelder und Spätburgunder, Sankt Laurent, Cabernet, Syrah - die in Deutschland gebräuchlichen Rebsorten ändern sich drastisch in Folge der Klimawandels. Dank des Einfallsreichtums und des Beharrungsvermögens der Winzer. Ich habe schon zwei Flaschen in der Hand, sehe aber noch viel mehr Verlockendes. Mein Blick bleibt beim Gewürztraminer hängen. Ingrid ist schon fast bei der Kasse, da greife ich nach einer Flasche. Besser jetzt kaufen, als sich hinterher ärgern. 

Dann sind wir mit den Backwaren, vier Flaschen Wein und neu erworbenen Holzbrettchen für die Wohnmobilküche derart beladen, dass wir doch erst einmal zurück zum Platz wollen, bevor wir die Gegend weiter erkunden. Zurück gehen wir am Waldrand entlang, bewundern die ersten der zahllosen schmalen senkrechten Felsformationen und finden den Hintereingang zum Campingplatz. Wie groß der ist, überall stehen Fahrzeuge, Weißware, viele Kastenwagen, überall entspannte, glückliche Gesichter. Familien mit Kindern, Paare ohne Kinder, Gruppen, Einzelreisende. Endlich ist es wieder möglich. 

Ich frage in der Rezeption noch nach einem Wlan-Zugang, den es tatsächlich für den symbolischen Betrag von fünfzig Cent gibt. Zwar nur im Umkreis der Rezeption, aber das ist schon sehr hilfreich (um den ein oder anderen Instagram-Post abzusetzen). Jetzt aber erst einmal Kaffee und dazu die Rhabarberschnitten. Toll, was engagierte Bäcker an geschmacklichen Explosionen zaubern können.

Um uns herum herrscht ein ruhiges Tempo vor, die Nachbarn halten sich überwiegend an ihren Fahrzeugen auf und freuen sich über entspannte Feiertage. Wir gewinnen neue Einblicke in die Campingplatzkultur. Viele haben e-Bikes dabei und dazu massive Träger an Anhängerkupplungen montiert. Die Räder stehen aber nur herum und werden demontiert und wieder auf den Träger montiert.

Wir haben Hummeln im Hintern, ziehen wieder los und drehen eine größere Runde über die Wanderwege um den Platz und diese Büttelwoog genannte Ecke des Ortes herum. Es ist sehr viel los, viele Leute sind zu Fuß unterwegs oder mit dem Fahrrad, wobei: fast alle Zweiradfahrende, die wir sehen, fahren e-Bikes. 

Die Wege stimmen nicht mehr mit den auf maps.me eingezeichneten Wegen überein. Das ist das erste Mal, dass sich maps.me als nicht mehr aktuell erweist. Wie es aussieht, sind die Wege, die über den Campingplatz verliefen, gekappt worden. Das ist nicht schlecht, das macht den Platz sicherer, weil weniger Durchgangsverkehr. Dadurch wird unsere Runde aber länger als gedacht. Wir kommen am Rothsteigbrunnen vorbei, der an einer, wie es aussieht, erst neuerdings durch Rodung entstandenen Lichtung liegt. Wir sind bereits auf dem Dahner Felsensteig, den wir morgen komplett durchwandern wollen. Überall sind diese markanten Felsformationen, die der Gegend ihren Namen geben. Wir können uns nicht satt sehen, das geht allen so, die hier entlang gehen. Menschen jeden Alters laufen mit kindlicher Begeisterung auf die Felsen zu, klettern rauf oder drunter durch, berühren sie, machen Fotos, freuen sich. Wir freuen uns auch.

Schneller als gedacht ist Dahn wieder erreicht, die Straße Im Büttelwoog reicht weit in das Tal hinein, ein Fremdkörper mit den üblichen häßlichen Ein- und Mehrfamilienhäusern, die jeden Ort zwischen Flensburg und Passau beliebig erscheinen lassen. Kein Ruhmesblatt für Architekten. Wir klettern noch den Wachtfelsen hinauf, zu dem eine sehr steile Eisentreppe führt. Oben angekommen belohnt ein weiter Blick auf Dahn und Umgebung die Anstrengung. 

Zurück am Auto setzen wir uns in die Nachmittagssonne. Ich schreibe am MacBook meinen Tagebucheintrag (unglaublich, um wie viel besser ein MacBook gegenüber einem PC-Notebook ist), wir trinken ein Glas Pfälzer Gewürztraminer dazu. Alkohol am Nachmittag habe ich mir zwar abgewöhnt, heute ist eine Ausnahme fällig. Später bereite ich das Abendessen vor. 

Wie immer, habe ich für den ersten Abend vorgekocht, um die Arbeit zu reduzieren. Es gibt Auberginen in Tomatensoße. Die Auberginen hatte ich, in Scheiben geschnitten, unvorbereitet in die Auflaufform geschichtet und dazu eine pikante Tomatensoße gegeben, mit viel Schärfe. Darüber Mozzarella und ab in den Backofen, bis der Mozzarella schön dunkelbraun und knusprig ist. Früher habe ich die Auberginen erst angebraten, in viel Olivenöl, zu viel Öl, wie ich heute finde. Und tatsächlich, die Auberginen entwickeln einen vollen Geschmack, das fehlende Öl tut dem Ganzen gut. Heute essen wir sie zum zweiten Mal, nur aufgewärmt, was den Geschmack nicht schmälert. Dazu gibt es einen Pfälzer Sankt Laurent, ein voller, runder Rotwein. Auch dass ich ein halbes Glas auf Ingrids Jeans auskippe, schmälert die Freude nicht. Die Flecken werden sofort mit Wasser rausgewischt, am nächsten Tag ist nichts mehr zu sehen.

Wenn ich bedenke, dass wir früher so gerne ins Elsass gefahren sind, weil Frankreich für uns ein Hort der Lebenskultur bedeutete und Deutschland noch in den 90er Jahren vielfach gastronomisches Niemandsland war mit Schnitzel- und Bratwurstküche und Draußennurkännchen. Sogar in Frankfurt am Main ging es erst in den nuller Jahren so langsam mit der Außengastronomie los. Im Elsass konntest du Wein trinken und Flammkuchen essen oder pfiffig zubereitetes Sauerkraut. 

Heute ist es längst umgekehrt. In Frankreich herrschen rigorose Regeln. Essen nur von 12 bis 14 Uhr und ab 19 Uhr. Wenn du zu spät bist, ist kein Platz mehr frei. Pech gehabt. Ich habe schon oft genug Wirte erleben müssen, die mir diese Gewohnheit als überlebensnotwendige, von Gott und Napoleon Bonaparte geschaffene Ordnung gepredigt haben, wenn wir für die Kinder wenigstens Crêpes haben wollen. Hier im Deutschland des 21. Jahrhunderts (aber auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien) kannst du fast zu jeder Tageszeit eine ordentliche Mahlzeit erhalten, die Qualität des Essens und der Weine ist so gut geworden, dass es eine Freude ist. 

Das Abendessen nehmen wir noch draußen ein, dann aber wird es doch recht kalt, so dass wir dem Beispiel der Nachbarn folgen, die teilweise den ganzen Tag in ihren Fahrzeugen verbracht haben, und uns reinsetzen. Die Heizung darf uns jetzt noch einen Moment lang aufwärmen, bevor es unter die warmen Bettdecken geht.





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