Die zweite Etappe: Neuharlingersiel, Spiekeroog und das Wangerland

Nach den ersten beiden Tagen in Greetsiel fahren wir weiter über Norddeich nach Neuharlingersiel. Von hier aus erkunden wir die Küste des Wangerlands und setzen über nach Spiekeroog. 

Nach den zwei Übernachtungen ist es schön weiterzuziehen. Wir sind schon kurz nach acht Uhr abfahrbereit, die Arbeiten sind vertraut, die Handgriffe sitzen, auch beim Abbau der neuen Markisensicherung. Zu den Tätigkeiten gehört natürlich auch die Entsorgung der Toilettenkassette, hierzu gibt es einen eigenen Raum im Sanitärgebäude, der Grauwasserablass befindet sich am Rand der Straße, daneben gleich der Frischwasserhahn. Nur das Auschecken gestaltet sich etwas schwierig, die Rezeption ist noch nicht bereit, die beiden Mitarbeiterinnen sind mit anderen Dingen beschäftigt. Es soll aber draußen am Automaten funktionieren. Aha. Der Automat will eine Kundennummer und eine Fallnummer. Der war wohl im ersten Leben ein Bürokrat. Die Kundennummer ist auf den Unterlagen, die sich rund um einen Campingplatzaufenthalt immer noch ansammeln, sogar, wenn man online bucht, nicht ersichtlich. Also wieder rein in die Schlange, die Nummer erfragen, wieder raus und zurück an den Automaten, Daten eingeben, mit Karte bezahlen, Quittung entnehmen, fertig. Aber so was von.

Als erstes fahren wir nach Pewsum zum Coronatest. Wir sind die ersten und kommen sofort an die Reihe. Stäbchen in die Nase bis zum Anschlag, dann warten auf das Ergebnis. Negativ. Gut. Weiter nach Greetsiel, Bummel durch den Ort. Am Ortseingang, gleich hinter dem großen Parkplatz mit Wohnmobilstellplätzen, ist eine freie Tankstelle. Da fahre ich erst einmal hin, blöderweise über eine schmale, verkehrsberuhigte Straße. Der Diesel kostet 1,42 Euro, das ist zu hoch. Also auf den Parkplatz und losgehen. Als wir zu Fuß an der Tankstelle vorbeigehen, liegt der Dieselpreis bei 1,37. Abwarten. In der Straße befinden sich zwei große Windmühlen im holländischen Stil nebeneinander. Schöne Fotomotive. Obwohl es noch früh am Morgen ist, sind schon viele Menschen unterwegs. Die Geschäfte öffnen nach und nach. Wir schauen in ein paar davon hinein. Dann plötzlich hölzerne Elefanten, Giraffen, Hippos - sind wir in Afrika? Tatsächlich, ein afrikanischer Laden. Drinnen am Tresen grinst uns ein Mann entgegen. Da staunt ihr, was? Afrika in Greetsiel. Er sei schon seit 20 Jahren hier mit seinem Souvenirladen, einmal im Jahr fahre er nach Afrika, um neue Produkte einzukaufen, die er das Jahr über hier anbiete. Es läuft interessante Musik. Was denn da laufe?  Nun, er habe drei schöne Sampler zusammengestellt, einmal Reggie, einmal Chormusik, der dritte mit Percussionmusik. Eine kostet 10 Euro, zwei 15, alle drei zusammen 20 Euro. Wir nehmen natürlich alle drei. 

Am Hafen setzen wir uns in ein Café und nehmen einen großen Café Creme. Blick auf die Schiffe, ein paar Möwen, die auf eine gute Gelegenheit, etwas zu stibitzen, lauern. Hier und da fangen wir zwangsläufig ein paar Gesprächsfetzen auf, vom Stand der Impfungen und dem Stand der Europameisterschaft. Schnell wieder ausblenden. Außerdem wird es jetzt wirklich voll, Zeit, dass wir weiterfahren. Was sagt die Tankstelle? 1,28 Euro! Jetzt gilt’s. Schnell das Auto holen, in die Gasse kurven und rauf auf das enge Tankstellengelände. Vor uns steht noch ein PKW, dann aber ran an die Säule und volltanken, bevor die Anzeige wieder umspringt. Erledigt. 

Nach Norden, das liegt, wie der Name sagt, im Norden. Aber kurz vor Norden biegen wir nach Norden ab (schlechtes Wortspiel), nach Norddeich. Auch hier wieder ein großer Parkplatz mit eigenem Wohnmobilbereich, wo wir uns zwischen anderen Kastenwagen einreihen. Wir gehen durch den weitläufigen Ort Richtung Deich. Große Bereiche sind wegen Bauarbeiten abgesperrt, hier wird vieles erneuert, Anlagen werden erweitert, um den Besucher:innen künftig einen noch besseren Zugang zum Strand zu ermöglichen. Unser Aufenthalt bleibt kurz, auf dem Rückweg kaufen wir Kuchen und Schwarzbrot und fahren dann weiter

In Nessmersiel halten wir kurz an der Baltrumfähre und erinnern uns an unsere Fahrten auf die Insel. Irgendwann ist Neuharlingersiel erreicht. Der große Campingplatz ist am Ortseingang nicht zu übersehen. Auch hier ist alles für eine perfekte und schnelle Abwicklung optimiert: zwei Schalter in der Rezeption, große Parkplätze für An- und Abreisende, automatische, kennzeichengesteuerte Schranken. Dahinter riesige Flächen mit weißen und ehemalsweißen Wohnwagen, viele umzäunt. Dazwischen, fast verloren wirkend, Wohnmobile, keine Zelte. Unser Platz liegt am anderen Ende, direkt am Deich. Eine große Wiesenfläche zwischen einem Wohnwagen mit Vorzeit und einem Pickupcamper. Die Fläche ist leicht abschüssig, so dass wir die großen Keile an den Vorderrädern unterlegen. Markise raus, Windschutz einhaken, Boden auslegen, Sturmband über die Makrise spannen, Tisch und Stühle raus, fertig. 

Mit der Schiebetür und dem Platz davor schauen wir Richtung Deich, so dass der überdimensionierte Campingplatz nicht im Blick ist. Die meisten der dauerhaft abgestellten Wohnwagen sind nicht in Benutzung, sondern nur wenige von ihnen und natürlich die Wohnmobile, die hier in der ersten Reihe und in anderen Bereichen verstreut geparkt sind. Der Platz verfügt auch über eine Reihe großer Sanitärgebäude, so dass es nie voll und eng wird. Außerdem sind die Duschen und WC in einem guten Zustand.

Nachdem wir uns eingerichtet, Kaffee getrunken und Kuchen gegessen haben, fahren wir mit den Rädern los, um den Ort und die Umgebung kennenzulernen. Gegenüber dem Campingplatz befindet sich ein großer Edeka. Über einen breiten Radweg kommen wir ins kleine Zentrum und steuern zunächst den Hafen an. Um das ovale Hafenbecken, in dem ein paar Fischerboote vertäut stehen, gruppieren sich Häuserreihen. Einige Gaststätten und Läden, ein Café mit Aussichtsterrasse auf dem Dach. Auf der anderen Seite des Hafens das große Gebäude der Spiekerookfähre, drum herum viel abgestelltes Material, Container, Fahrzeuge, Anhänger. Davor eine Bushaltestelle. Wir umfahren den Hafen und nehmen die Straße über den Deich. Dahinter ein Gewerbegebiet, ins Auge fällt die Fischerei-Genossenschaft mit Fischverkauf und großem Imbiss. Nach einer größeren Fahrradrunde ein paar Kilometer die Küste entlang und über Carolinensiel zurück kaufen wir hier Matjesfilet, das wir abends zu viel Salat dick mit Zwiebeln belegt auf gebuttertem Schwarzbrot essen. Ein Traum. 

Am Abend taucht am Deich ein großer Hase auf, der sich nicht von uns stören läßt. Er läßt sich das Gras schmecken, das ja reichlich auf dem Deich wächst.

Am Morgen nehmen wir erneut den Radweg neben dem Deich in nordöstlicher Richtung die Küste entlang. Von meinem Inselbesuch vor 20 Jahren sind mir noch die umfangreichen Parkplätze in Erinnerung, da Spiekeroog zu den autofreien Inseln zählt und Besucher wie Bewohner:innen hier auf dem Festland ihre Fahrzeuge abstellen müssen. Ein paar Kilometer weiter biegen wir auf die Beobachtungsplattform Iheringsgroden ab. Das Wetter ist wieder trüb geworden, kaum ein Mensch ist unterwegs, deshalb fahren wir mit den Rädern bis nach oben, obwohl ein Schild darauf hinweist, dass Räder auf halber Höhe abgestellt werden sollen. Der Blick reicht weit, aber es ist wenig zu sehen, was ihn einfangen kann. Nur flaches Land, Wattlandschaf,  in der Ferne sind die Inseln zu erkennen. Auf dem Weg nach unten begegnen uns drei E-Bike-Fahrerinnen, die ihre Räder schieben und uns anmaulen, Fahrradfahren sei hier verboten. Der deutsche Spießer ahndet gerne Regelverletzungen, die er sich selbst nicht zu begehen traut.

Immer geradeaus führt der Weg den Deich entlang ins Wangerland. Auf dem Rollfeld des kleinen Flugplatzes bei Harlesiel startet gerade eine mehrsitzige Maschine. Am Ende dieses Küstenabschnittes, dort, wo der Jadebusen beginnt,  liegt der Ort Schilling. Vorgelagert ein kleiner Strandabschnitt. Der Ort selbst ist hässlich, viele mehrstöckige Neubauten, sieht aus wie eine Trabantenstadt am Rande einer Großstadt, genauso trostlos. Wir folgendem Küstenverlauf nach Süden bis Horumersiel. Ein kleiner Hafen mit interessantem Wohnmobilstellplatz. Ein Fischimbiss, an dem wir uns einen Kaffee gönnen. Wir beschließen, weiter bis nach Hooksiel zu fahren. Der Ort ist schnuckelig, alte Häuser am kleinen Hafenbecken, eine recht belebte Innenstadt. Viel Autoverkehr. Quer übers Land fahren wir zurück. Beeindruckend ist die große und tatsächlich hoch gelegene Kirche in Hohenkirchen. Der Wind weht kräftig, die Wolken hängen tief, die Fahrt strengt an. Wir sind froh, irgendwann nach all den Kurven, der Suche nach dem richtigen Weg, dem Passieren kleiner Dörfer, dem Überqueren von Wasserläufen wieder Neuharlingersiel in der Ferne zu erkennen. Wieder halten wir bei der Fischereigenossenschaft, dieses Mal, um Nordseekrabben und Schollenfilet fürs Abendessen zu kaufen. Zu den Krabben gibt es reichlich Rührei, die kleinen Filets sind eine leckere Ergänzung. Wir lassen uns das Essen bei einem Glas Wein schmecken. 

Doch vorher suchen wir noch die örtliche Coronateststation auf, denn am nächsten Morgen wollen wir mit der Fähre nach Spiekeroog übersetzen, dazu ist ein negativer Test notwendig. Die Tickets haben wir schon online gebucht. Auch hier ist der Test schnell erledigt.

Am Morgen um 8 Uhr  finden wir uns in einer größeren Schlange hinter dem Fährgebäude wieder und schauen gemeinsam mit allen dem Fahrer des Unimogs zu, wie er einen Zweiachsanhänger nach dem anderen routiniert rückwärts auf die Fähre schiebt. Die Fähre benötigt tatsächlich eine Stunde bis zum Hafen von Spiekeroog. Ein kleiner Fußmarsch führt uns in das hübsche Dorf mit seinen kleinen Häusern. Autos gibt es keine, nur ein paar Elektromobile. Ein Ort ohne Bürgersteige und abgetrennte Fahrbahnen, so haben früher alle Orte ausgesehen, die Straße gehört den Menschen, die zu Fuß und auf Rädern unterwegs sind. Und ohne Automotoren ist es geradezu leise. 


Wir gehen über die Insel, durch das grüne Gestrüpp südlich der Düne Richtung Strand. Beim Nachlesen erfahre ich, dass die ostfriesischen Inseln durch angewehten Sand entstanden sind, im Unterschied zu den nordfriesischen, bei denen es sich um Überbleibsel des früheren Küstenverlaufs handelt. Interessant. Auf einer Erhöhung in dem buschigen Gelände steht ein ein paar Jahren eine große und dünne Figur, ein nackter Mann, der Utkieker, beide Hände vor die Augen haltend, schaut er in die Ferne. Endlich sehen wir das offene Meer und sind über den Strand schnell an der Wasserlinie angekommen. Der Strand ist breit, er umfasst die gesamte Nordküste der Insel. Wir gehen in westliche Richtung, die Augen abwechselnd in die Ferne aufs Wasser, vor unsere Füße, um nicht versehentlich in eine Qualle zu treten, zurück auf Düne und Strand. Wir gehen weiter und weiter, übersehen zunächst, dass wir eine Sandbank entlang gehen und uns einer tiefer Priel den direkten Weg zur Düne versperrt, also gehen wir ein Stück zurück und durchqueren den Priel an einer flachen Stelle. Hinter der Düne steigt die Insel an, der Weg führt zurück ins Dorf. Wir entdecken ein Fischrestaurant, wo es draußen noch freie Plätze gibt, und essen dort: Scholle Finkenwerder Art - der ganze Fisch mit Haut und Gräten , mit viel Speck gebraten, deftig. Dazu die obligatorischen Bratkartoffeln, ebenfalls mit Speck. 


Ein Besuch der Dorfkirche, eine Tasse Kaffee vor der Bäckerei, und schon ist es wieder Zeit, die Fähre fährt um kurz nach zwei zurück aufs Festland. Diesmal bekommen wir nur noch einen Platz im unteren Salon, pandemiebedingt ist die Bewegungsfreiheit auf dem Schiff eingeschränkt. Aber die Fahrt ist kurz, Fotos sichten, das Erlebte im Reiseführer und online nachrecherchierten, und schon sind wir im Hafen von Neuharlingersiel. Es ist noch früher Nachmittag, wir setzen uns auf die Räder und fahren die Küste nach Westen entlang, bis nach Bensersiel. Der Deich ist gut befestigt, auf Seeseite betoniert, auf dem Weg kommen wir mit dem Fahrrad gut voran, nur wird er gut jeden Kilometer durch einen Zaun mit Gatter unterbrochen, der die vielen Schafe daran hindern soll, das eingegrenzte Gelände zu verlassen. Besser siel ist wieder ein kleiner Hafen, von hier fahren die Fähren nach Langeoog ab. Gerade wird eingecheckt, es sind weit mehr Leute unterwegs als nach Spiekeroog. Hinter dem Hafen liegt wieder ein größerer Campingplatz, direkt am Strand. Bensersiel besteht aus neuen Häusern, wirkt modern, ein nüchterner Ort. Zurück fahren wir wieder den Deich entlang. An einem der vielen Gatter stelle ich fest, dass die Schafe hier sehr wohl in der Lage sind, die Barriere zu überwinden. Sie scheuen sich nicht, das Rost auf dem Boden zu überklettern. Die Schafe sind in der Regel zurückhaltend, aber nicht besonders scheu. Eines kommt sogar zu mir, als ich angehalten habe, schaut mich intensiv an und knabbert anschließend an meiner Gepäcktasche, als ob es dort den frischesten Kopfsalat vermutete. 


Aber den kaufen wir erst später, als wir nach der Tour zum Supermarkt fahren und unsere Vorräte ergänzen. Am Abend dann verziehen sich die Wolken und die Sonne gibt ihr Bestes. Auf dem Deich versammeln sich viele Menschen, um ihr zuzusehen, wie sie sich langsam dem westlichen Horizont nähert und schließlich, jetzt aber schon unter Dunstschleiern und Wolkenresten, für heute hinter ihm verschwindet.

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