Slowenien, Teil 6: An der Quelle der Soča

Der Triglav-Nationalpark in den Julischen Alpen. Um vom Bohinjsee ins Soča-Tal zu gelangen, mussten wir mit dem Wohnmobil einen Riesenbogen schlagen. Jetzt sind wir in Trenta und wollen zur Quelle der Soča wandern. Ein guter Tag dafür, die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos.

Wir übernachten mit dem Wohnmobil in Camp Triglav in Trenta, einem Dorf im oberen Sočatal. Der Platz ist gewählt, weil wir von hier aus sofort losgehen können. Und das tun wir am nächsten Morgen, nach dem Kaffee und ausgestattet mit ausreichender Verpflegung und Wasser. Der Tag ist klar, die Sonne lugt allmählich hinter den hohen Bergen hervor.

Wir queren unterhalb von Camp Triglav Fluß und Straße, um auf den schmalen Pfad parallel zur Soča einzubiegen. Wir sind auf dem Soča-Trail, dem Soška Pot, und gleichzeitig auf dem Alpe-Adria-Trail, dem 750 Kilometer langen Fernwanderweg vom Großglockner in Österreich nach Muggia an der Adriaküste, einem Vorort von Triest, knapp oberhalb der slowenischen Grenze. 

Unser Ziel ist die rund sieben Kilometer nördlich von uns gelegene Quelle der Soča. Der gut zu laufende schmale Weg hält sich meist in Sichtweite zum Fluss. An einigen Stellen macht die Landschaftsformation einen Umweg in höhere Lagen erforderlich, der Weg steigt dann steiler an und führt durch unberührte, naturbelassene Waldabschnitte. Das Dort Trenta liegt auf der anderen Flussseite, auch die Durchgangsstraße verläuft dort entlang. Hier, wo wir laufen, ist es absolut ruhig, wir hören nur das Rauschen des Wassers. 

Hier unten sind wir alleine auf dem Wanderweg. Später, oberhalb von Trenta, passieren wir den zweiten Campingplatz, der direkt am Flussufer, aber auf der anderen Seite, liegt. Auch dieser Platz ist nur noch mäßig besucht. Einige Plätze reichen bis zum Wasser, das ist bestimmt sehr schön. Etwa einen Kilometer weiter sehen wir auf der anderen Seite, hinter der Straße, eine Kirche, die Cerkev Sv. Marije. Über eine der vielen hölzernen Hängebrücken gehen wir rüber. Zur Kirche gehören noch zwei weitere Gebäude, darunter ein Wohnhaus, das noch in Benutzung zu sein scheint. Der Komplex ist alt und hat Patina angelegt, aber der zugängliche Kirchenraum ist gepflegt. Nur hinter dem Beichtstuhl, wenn man dessen Türe öffnet, die den Blick in den unteren Teil des Kirchturms freigibt, dort sieht es wüst aus. Erdiger Boden, Unkrautwuchs, zerschlagene Kirchenbänke. Schnell wieder zu die Tür.

Oberhalb der Marienkirche liegt der Botanische Garten Alpinum Juliana mit über 600, meist alpinen Pflanzenarten. Wir gehen wieder über die Brücke und weiter den Soška Pot entlang. Das Tal wird enger, der Weg verläuft jetzt ein Stück direkt neben der Autostraße. Zum Glück herrscht dort wenig Verkehr. Die Straße verläuft an dieser Stelle am rechten Flussufer und wechselt über eine Steinbrücke erneut die Seite, um sich jetzt den Vršičpass hochzuquälen. Wir bleiben mit dem Wanderweg am Fluss, das Gelände steigt jetzt steiler an, die Quelle und der Talschluss sind nicht mehr weit.

Hier oben ist es schon weitaus lebhafter, vor und hinter uns sind etliche Wanderer unterwegs. Einem etwas älteren deutschen Paar sind wir weiter unten bereits begegnet, als sich der Weg verzweigte und wir die Optionen auf der Karte nachgeschlagen hatten. Die beiden hatten einen anderen Weg genommen und stoßen hier wieder auf unsere Piste. 

Der Weg mündet auf eine Teerstraße  zu den Häusern am oberen Ende des Tals. Wir folgen ihm bis zur Koča pri izviro Soča, der Hütte an der Soča-Quelle, einem Gasthaus mit Übernachtungsmöglichkeit. Bis  zur Quelle ist es jetzt noch eine Viertelstunde. Das Tal ist enger geworden, der Weg verläuft am Hang und steigt steiler an. 

Der Fluß ist hier nur noch ein schmaler, aber wilder Bach mit vielen Stromschnellen und kleinen Wasserfällen an den Absätzen. Der Hang knickt nacht rechts ab und öffnet die Sicht auf Felsen, auf denen von oben das Wasser herabstürzt. Am Boden sammelt sich das ganz klare Wasser in kleinen Becken. Der Weg führt außenherum weiter. Jetzt wird er richtig steil. 

An der rechten Hangseite sind Drahtseile zum Festhalten angebracht. Der Weg ist abschüssig. Eine Frau kommt mir entgegen, hält aber nicht an, um sich mit mir zu arrangieren, sondern läuft um mich herum, sagt: "Wenn ich jetzt abstürze, sind Sie Schuld". Die Schuldfrage zu klären, ist wichtiger, als eine bessere Lösung zu erarbeiten.  Dafür bringt man gerne mal ein Opfer, und sei es ein Absturz.

Der Weg biegt nach rechts ab und ist hinter der Biegung nicht einsehbar, deshalb frage ich die Leute hinter der Frau, wie viele Personen noch kommen. Sieht so aus, als käme erst einmal niemand mehr. Ich befinde mich oben auf einem abschüssigen Felsen, das Wasser ca. 15 Meter unter mir, das Drahtseil in der Hand suchen die Füße auf dem Felsen Halt. Geht schon. Es ist eine schöne Herausforderung, wie ein Klettersteig. Jetzt verläuft er wieder bergab, ungefähr 20 Meter, um danach erneut steil auf die nächste Felsengruppe zu klettern. 

An der tiefsten Stelle warten ein paar Leute, um uns passieren zu lassen, dann das letzte Stück hoch und dahinter wieder runter. Schön auf die Schritte achten, einen Fuß nach dem anderen setzen und mit den Händen gut festhalten. Ein wenig klettern. Der Weg endet auf großen Steinen, zwischen denen das Wasser der Soča entlang läuft, hier ist der Eingang einer kleinen Grotte, die steil nach unten abfällt. Da unten glänzt, durch die Sonne angeleuchtet, das klare blaue Wasser der Soča-Quelle. 

Man kann nur ein Stück hineingehen, dann geht es nicht weiter. Aber es hat sich gelohnt, ein großartiges Naturschauspiel, weit oberhalb des Tals, im felsigen Hang. Also zurück, denselben Weg über den Klettersteig, Entgegenkommende passieren lassen, Mut machen, weitergehen, wenn es frei ist. Vor der Kurve hoch oben kommt mir ein Mann entgegen, der nicht warten will. Er hüpft behände über die Felsen auf eine höhergelegene Nische, um mich vorbei zu lassen. Okay, wenn er möchte. 

Vor der Hütte trinken wir Kaffee und essen einen Apfelstrudel. Am Nachbartisch ein deutsches Paar, das wir oben getroffen hatten. Sie verlassen kurz vor uns die Hütte, in einem orangen Ducatocamper. Wir werden auf Slowenisch von einem älteren Mann angesprochen, können uns schnell auf Deutsch einigen und beantworten die Frage zum Weg. Er sagt uns, dass er als junger Mann schon einmal die Quelle besuchte, bevor er das damalige Jugoslawien verlassen und sein weiteres Leben in der Schweiz verbracht hat. Er will den Weg wagen, seine Begleiterin macht nicht den Eindruck, als ahne sie, was sie erwartet.

Wir nehmen einen anderen Weg zurück, biegen ein wenig Richtung Passstraße ab, um am Kugyjew Spomenik, dem Denkmal des Juristen und Alpinisten Julius Kugy, vorbeizugehen. Von hier hat man einen schönen Rundblick. Nebendran steht ein neu errichtetes Bauernhaus. Der Weg verläuft steil bergab, überquert den Fluss und bringt uns zurück auf den Weg, den wir gekommen sind. 

Es ist zwar derselbe Weg, aber in die andere Richtung, mit einem anderen Blick. Dadurch ist auch der Rückweg interessant und spannend. Leider löst sich gerade die Sohle meiner elf Jahre alten Wanderschuhe ab. Sie haben wohl ihr Ende erreicht, ich werde ein neues Paar kaufen müssen.

Wir passieren wieder den oberen Campingplatz. Auch hier hat sich der Fahrzeugbestand seit dem Morgen geändert. Ein sehr schönes Bild bietet ein zum Wohnmobil umgebauter Lastwagen mit Kofferaufbau. Die Laderampe am Heck wird als Terrasse genutzt. Ein Paar sitzt dort beim Schach zusammen, ganz in ihr Spiel vertieft.

Auf der Höhe von Trenta überqueren wir die Soča über eine Hängebrücke, die von einer deutsch-slowenischen Gesellschaft in Wiesbaden finanziert worden ist. Was es alles gibt. Wir kommen in das Zentrum des Dorfs, hier wollen wir uns das Informationszentrum Dom Trenta ansehen, das über den Triglav Nationalpark informiert. Kurz gesagt, es ist enttäuschend, jede Menge Souvenirs, wenig Informationsmaterial, die interessanten Bereiche sind nur gegen Eintrittsgeld zugänglich. Wir gehen weiter, zurück zum Campingplatz.

Es ist später Nachmittag, noch scheint die Sonne, es ist warm genug, um am Tisch und auf den Bänken vor dem Auto bleiben zu können und das Abendessen zuzubereiten. Auf dem Platz sind wieder etliche ab gereist und andere dazugekommen. Neben uns steht heute ein Pickup mit Wohnaufbau, wo gestern ein französischer Motorradfahrer sein kleines Zelt stehen hatte. 

Gegenüber stehen kleine Zelte, vier Leute, die mit einem PKW unterwegs sind. An der Rezeption ist ein Sitzbereich eingerichtet, in dem die vier am Abend etwas geschützter  und bequemer als am Zelt miteinander sitzen können.

Die Nacht wird sternenklar, wir sitzen noch lange draußen, als es dunkel ist, bis uns die zunehmende Kälte doch noch ins Auto treibt. 

Am nächsten Morgen brechen wir auf, wir wollen weiter nach Bovec, das ist 20 Kilometer entfernt, weiter die Soča entlang. Die schmale Straße ist leer, die Sonne kommt durch. Nach acht Kilometern stoppen wir, links neben der Straße können wir parken. Eine Hängebrücke - mal wieder - führt über den Fluss. Wir sind in der Soča-Schlucht. 

Wir sind noch am Auto - gerade ist ein Holz-Lastzug vorbei gebrettert, ich schaue sicherheitshalber nach, ob wir weit genug von der Fahrbahn entfernt sind, nicht, dass noch der eingeklappte Außenspiegel tranchiert wird -, da kommen zwei Leute über die Brücke und auf uns zu. Ein Paar aus Deutschland, lustiger Weise auch noch aus der Nachbarschaft von Wiesbaden, sie haben unser feuerrotes Wohnmobil gesehen und wollen mal Hallo sagen. Sie sind auch mit einem Kastenwagen unterwegs, stehen etwas unterhalb auf einem Campingplatz und laufen jetzt ein Stück den Fluss entlang. 

Ein kleiner Erfahrungsaustausch, ein paar Tipps hier und da, und weiter geht's, die beiden haben ein schönes Tempo drauf. Wir sind auf der Brücke, ich hatte angenommen, die Schlucht wäre einen guten Fußmarsch entfernt, aber nein, wir sind mittendrin. Tief unter uns tobt das Wasser, strahlend blau, umgeben von grauen Felsen. Ganz tief in den Boden hat sich der Fluss hier eingegraben und bildet eine enge, unzugängliche Schlucht. 

Auf der anderen Seite verläuft der Wanderweg, nach rechts geht es bergab und näher an die Soča. Hier können wir besser und weiter in die Schlucht hineinschauen, in beide Richtungen. Von der Straße aus war nicht zu ahnen, welches Naturschauspiel sich hier, wenige Meter unterhalb, abspielt. 

Ein paar Kilometer weiter, hinter dem Weiler Soča, halten wir erneut. Der Fluss kommt hier aus der engen Schlucht heraus und öffnet sich, auch das sieht grandios aus. Die Ufer links und rechts werden breit und zugänglich, eine Hängebrücke führt über das hier schon sehr große Wasser zum Campingplatz oben am Hang. 

Nur noch ein paar Kilometer, durch den bereits zu Bovec gehörenden Ortsteil Kal-Koritnica, wo die Straße den kleinen Fluß Koritnica überquert, bevor der in die Soča mündet, dahinter die Kreuzung zur Straße Richtung Predilpass und ins italienische Friaul Julisch-Venetien. Wir haben uns für den Campingplatz entschieden, der am nächsten am Zentrum von Bovec liegt, außerhalb, am Fluss, gibt es noch andere. Den Platz haben wir schnell erreicht, er ist nahezu leer, wunderbar. Die Wiesenplätze sind eben. In der Rezeption empfängt uns ein großer, kräftiger Mann unserer Altersgruppe, wir kommen ins Reden, auf Englisch. 

Er sagt, er sei Professor für Slowenisch und mit Studien zu den regionalen Dialekten befasst. Hier in der Gegend sei der Dialekt sehr stark mit Entlehnungen aus dem Deutschen durchsetzt und dadurch anderen slowenischen Dialekten gegenüber sehr fremd, so dass sich Slowenen untereinander mitunter überhaupt nicht verstehen. Er ist der Vater des Platzbetreibers und hilft heute nur aus, der da Junior gerade mit Reparaturen beschäftigt ist. 

Wir suchen uns einen Platz abseits der sich um das Waschhaus herum knäuelnden Wohnwagen und Wohnmobile. Wir gehen direkt ins Zentrum, das sind knappe zehn Minuten zu Fuß. Der Ort erinnert mich an Partschins im Etschtal in Südtirol oberhalb von Meran, er liegt leicht am Hang in erhöhter Lage des Tals und am Rande des nächsten Berges. Im Zentrum ein großer Kirchturm, ein paar wenige Straße, etliche Geschäfte und Gaststätten. 

Wir kaufen eine Wanderkarte für morgen, die kriegen wir nicht in der Touristeninformation, aber in einem kleinen Laden. Auf dem Platz an der Kreuzung trinken wir einen Kaffee und lassen uns, nachdem wir Croissants gewählt haben, von der netten jungen Bedienung statt dessen einen - kalorienarmen - Rüblikuchen bringen, mit einem dünnen Topping aus Bitterschokolade. Eine gute Wahl. Auf dem Rückweg kaufen wir noch ein paar Lebensmittel ein. 

Es ist noch früh am Nachmittag, wir gehen zu einer kleinen Wanderung los, in westliche Richtung durch den Ort und in Richtung des Slap Virje, des wirbelnden Wasserfalls, einer von zwei Wasserfällen hier bei Bovec. Der zweite, Slap Boka, ist weiter entfernt. 

Wir benötigen etwas mehr als eine Stunde, auch, weil wir zum Schauen und Fotografieren oft stehen bleiben. Das Tal ist breit, vor uns sehen wir  das Bergmassiv Kanin mit der Seilbahnstation, nach links öffnet sich das Tal  zur Soča hin. Der Fluss wird später, zwischen den Erhebungen Stol und Krasji Vrh, nach Süden abbiegen, Tolmin und Nova Gorica streifen und dann unter dem italienischen Namen Isonzo südlich von Monfalcone sein Wasser ins Mittelmeer gießen.

Wir passieren eine Ziegenweide rechts oben, eine Ziege liegt ganz entspannt, eine Pfote ausgestreckt, und schaut ins Tal. Dann eine kleine Schafherde, dicht beieinander, mal laufen sie ganz schnell, dann bleiben sie wieder stehen. Jetzt laufen sie vor uns die Straße entlang, um dann nach rechts auf der nächsten Weide in Deckung zu gehen.

Zum Wasserfall führt ein steiler Zuweg hinab, er liegt schon im Schatten. Das Wasser fällt zweigeteilt über eine Höhe von vielleicht etwas mehr als zehn Metern in einen kleinen See. Unterhalb des Wasserfalls befindet sich laut Karte ein größerer See, wir schlagen die Richtung ein und kommen an einem großen eingefassten und leeren Becken vorbei. Doch wo ist der See? Gleich sind wir schon am Golfplatz, der auch auf der Karte eingezeichnet sind, bevor wir merken, dass dieses leere hässliche Becken der eingezeichnete See gewesen ist. 

Jetzt sind wir schon auf dem Rückweg nach Bovec. Es geht durch ein Wald- und Wiesengebiet. Vor mir auf dem Boden liegt ein pechschwarzes Holz - nein, warte mal, das ist kein Holz, das ist eine unbewegliche Schlange. Eine Kreuzotter. Das eindrucksvolle Tier bewegt sich, da es sich von uns bemerkt fühlt, schlängelnd davon. Sehr schön, die schwarz glänzenden Schuppen auf dem Rücken, der markante Kopf mit der flink hervortastenden Zunge. 

Wir sehen schon den Ortsrand von Bovec, das erste Gebäude ist das der Bahnstation der Kanin-Seilbahn, derzeit ist sie nur am Wochenende in Betrieb. Davor ein Wohnmobilstellplatz, der hat zwar eine schöne Aussicht, ist aber nicht mehr als ein betonierter Parkplatz und mit 20 Euro kaum günstiger als unser Campingplatz. Ein paar Fahrzeuge stehen dort, darunter sogar eines mit isländischem Kennzeichen, das sieht man sehr selten.

Wir gehen durch den Ort zurück zum Campingplatz. Nebenan, darauf hatte uns schon der Professor hingewiesen, ist eine Gostilna, ein Gasthaus. Da gehen wir jetzt zum Essen hin. Ich bestelle spontan eine Pizza, die esse ich nur selten, da sie mir zu kalorienhaltig ist. Die Pizza ist sehr groß, der Teig kross, am Rand dick gewölbt, üppig belegt mit allerlei deftigem Zeug, sogar einem Spiegelei, ordentlich Tomate und Mozzarella. Eine ausgezeichnete Pizza, aber nichts für jeden Tag.

Morgen ist unser letzter Tag in Slowenien, bevor wir über Italien und Österreich zurück nach Deutschland fahren. Für morgen haben wir uns noch eine große Wanderung vorgenommen. Auf die freuen wir uns.






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