Mosel und Luxemburg im November (Teil 1): Hochmoselbrücke und Römerwein in Wintrich an der Mosel



Das eigene Wohnmobil fördert die Spontaneität. Zumindest bei uns ist das der Fall. Wir haben zwei verfügbare Tage und beschließen kurzfristig, sie für eine Tour zu nutzen. Zusammen mit dem Wochenende sind das vier Tage, die wir unterwegs sein können. Dabei beschränken sich die entstehenden Kosten auf den Spritverbrauch, der sich angesichts der relativ kurzen Strecke in Grenzen hält, und gegebenenfalls auf Stellplatzgebühren, dort, wo wir nicht frei stehen können.

Wir wollen nach Luxemburg. Ich kenne es nur vom Durchfahren und habe auch schon einmal in Vianden übernachtet. Ist aber schon zwanzig Jahre her.  Die Videos von zwei Youtuberpaaren namens @travel4impressions und @bordercamping haben mich neugierig gemacht, Luxemburg ein bisschen näher anzuschauen. Auf dem Hinweg wollen wir eine Zwischenübernachtung an der Mosel einlegen.

Es ist Mittag, als wir uns auf den Weg machen. Der Camper ist gepackt, warme Kleidung verstaut, im Kühlschrank sind genügend Lebensmittel für die Selbstversorgung gebunkert. Wir fahren über die Autobahn nach Bingen und nehmen die A 61 bis Rheinböllen. Von dort aus geht es über die B 50 vorbei an Simmern und dem Flughafen Hahn auf die Hunsrückhöhenstraße. Die Einrichtung des Flughafens hat dazu beigetragen, die Bundesstraße autobahnähnlich vierspurig auszubauen, so dass man dort in der Regel gut vorankommt. Hinter "dem Hahn", wie er genannt wird, geht es allerdings zweispurig und somit etwas geruhsamer weiter. 

Vor Morbach biegt die B 50 nach Norden ab. Kurz hinter der Abzweigung ist auch sie seit kurzem vierspurig ausgebaut und quert über der neuen Hochmoselbrücke das Moseltal, um südlich von Wittlich zur Autobahn 60 Richtung Lüttich zu werden. Bei Wittlich kreuzt sie die Autobahn 1 nach Trier, Luxemburg, runter ins Saarland bzw. nach Kaiserslautern, in die andere Richtung zur A 48 nach Koblenz und über Land in Richtung Köln. 

Wir fahren bis zur Hochmoselbrücke. Zwischen Ürzig und Zeltingen-Rachtig wird das obere Moseltal von der 1,7 Kilometer langen und 160 Meter hohen Hochbrücke zerschnitten. Umweltschutz, Tourismus und Weinbau sahen hierin einen erheblichen Eingriff in das Landschaftsbild und lehnten das Projekt ab. Ich habe das heftig umstrittene Bauwerk noch nicht im fertigen Zustand gesehen, als wir vor acht Jahren eine Radtour durchs Moseltal machten, war es noch in Arbeit. Hinter der Abfahrt Zeltingen-Rachtig halten wir, von hier aus kann man die Brücke gut überblicken. 

Die Brücke ist Teil des B 50 Hochmoselübergangs, der auf einer Strecke von 25 Kilometern die Hunsrückhöhenstraße mit dem Autobahnkreuz bei Wittlich verbindet. Der Übergang wiederum ist Teilstück einer gedachten Nordwest-Südostachse von Belgien (Lüttich) ins Rhein-Main-Gebiet. Der Weg über die im Bereich Eifel-Moseltal-Hunsrück vorhandenen Straßen war natürlich für den Autoverkehr wesentlich zeitaufwändiger, da die Fahrzeuge erst einmal auf der einen Seite ins Moseltal hinunter  und anschließend auf der anderen Seite wieder hinauf klettern mussten.

Die Bürgerinitiative Pro Mosel, die gegen die Brücke kämpfte, veröffentlichte Zahlen, wonach der Zeitgewinn durch den Übergang je Gesamtstrecke im Schnitt nur wenige Minuten betrage und die vorhandenen Nord-Südachsen der linksrheinischen A 61 und der rechtsrheinischen A 3 ohnehin günstiger und insgesamt besser angebunden verliefen. Ihr alternativer Vorschlag sah den Ausbau vorhandener Straßen durch das Tal und über eine bereits bestehende Brücke vor. 

Die Pläne für die Brücke reichen bis in die 1960er Jahre zurück und hatten seinerzeit, im kalten Krieg, einen militärstrategischen Hintergrund. Allerdings entstand dann später eine A 60 vom belgischen Lüttich ausgehend quer durch die Eifel nach Wittlich, deren weiterer Verlauf erst wieder in Bingen ansetzt und von dort an Mainz vorbei bis Rüsselsheim führt. Gleichzeitig wurde Anfang der 1990er Jahre der ehemalige US-Militärflughafen Hahn im Hunsrück zum Zivilflughafen konvertiert und die Verkehrsanbindung über die B 50 dorthin nach und nach ausgebaut.

Über die leere A 60 nach Belgien bin ich ein paar Mal bereits gefahren und am heutigen Werktag ist der Hochmoselübergang alles andere als ausgelastet. Ich vermute, er wird ohnehin besonders vom Schwerverkehr aus Richtung Frankreich und Luxemburg genutzt, der, über Trier kommend, zuvor über die zweispurige Hunsrückhöhenstraße über Simmern und weiter in den Großraum Rhein-Main gefahren ist.

Wir nutzen die Gelegenheit und nehmen die Brücke, um südlich von Wittlich über Platten zurück an die Mosel zu fahren, die wir bei Mühlheim erneut überqueren. Wir hatten uns zuvor ein paar mögliche Orte zur Übernachtung ausgesucht. Brauneberg, ein Ort mit einer langen und engen Ortsdurchfahrt, wo wir in einer Bäckerei Croissants und Käsekuchen kaufen, hat einen schönen Wohnmobilstellplatz, etwas erhöht und mit Blick auf den Fluss. Der gefällt uns schon sehr gut, doch wir fahren noch einen Ort weiter nach Wintrich. 

Auch hier liegt am Moselufer ein Stellplatz, der gefällt uns noch besser und wir beschließen zu bleiben. Die Einfahrt regelt eine Schranke, bei der Ausfahrt will der Automat mit 11 Euro für 24 Stunden gefüttert werden. Es existiert eine Anlage für Ver- und Entsorgung, die markierten Stellplätze sind groß und haben einen aufpreisfreien Stromanschluss. Außerdem gibt es Duschen und WC. 

Bevor wir hineinfahren, der Platz ist vollkommen leer, wollen wir noch Frischwasser aufnehmen. Da kommt der Betreiber vorbei und weist uns darauf hin, dass er gerade dabei ist, den Platz für den Winter zu schließen. Aber heute Nacht können wir noch bleiben.

Als der Camper steht und der Stromanschluss liegt, wollen wir erst einmal los und ein wenig spazieren gehen, um das Tageslicht auszunutzen. Ein paar Meter flussaufwärts liegt die Wintricher Schleuse, auf der Fahrrinne am gegenüberliegenden Ufer läuft just ein Kahn ein. 

Wir müssen den Fußweg an der Bundesstraße entlang nehmen, lassen den Ort hinter uns und gehen unterhalb der Geiersley vorbei, einem markanten Felsen, der hoch über das Tal hinausragt und auf dessen Spitze wir ein weißes Kreuz sehen. 

Ein paar hundert Meter weiter können wir den Fußweg an der Straße verlassen und gehen über einen Wirtschaftsweg den Weinberg hinauf.  Der Weg verläuft im Bogen durch ein Waldstück, bevor er zurück durch die Reben auf dem Rücken der Geiersley mündet. Wir sind direkt am Kreuz, das riesig groß über dem Tal steht. Es ist mittlerweile dämmerig geworden, das Kreuz ist beleuchtet, im Tal sind ebenfalls die Lichter eingeschaltet. Wir schaffen es gerade noch, im restlichen Licht des Nachmittags Wintrich zu erreichen.

Wir sind in einem Winzerdorf. Was liegt näher, als ein oder zwei Flaschen des hiesigen Weines zu kaufen? Laut Google-Maps kommen wir an einigen Weinhöfen vorbei, doch überall ist es dunkel, der Ort ist menschenleer, von wenigen Fußgängern, die ihre Hunde ausführen und uns mißtrauisch beäugen, und von den Fahrerinnen und Fahrern, die mit ihren Autos an uns vorbeibrettern, um ihre Besorgungen zu erledigen, abgesehen.

Auf dem Land ist das Auto unverzichtbar, denn auch die kurzen Wege innerhalb des Ortes müssen unbedingt damit bewältigt werden. Als jemand, der in einem Dorf aufgewachsen ist und die dortigen Gepflogenheiten bis heute verfolgt, kann ich ein Lied davon singen. Wir werden das hier in Wintrich später auch noch feststellen.

Am gefühlt zwanzigsten Weingut vorbeikommend sehen wir Licht im Hausflur. An der Hauswand ist eine Vitrine mit einer Weinpräsentation aufgebaut, an der Haustür steht, dass man klingeln soll, also tun wir es. Unsere Absicht ist es, nur schnell ein, zwei Flaschen Moselwein zu kaufen und anschließend zum Camper zu gehen, um in Ruhe das Abendessen vorzubereiten und zeitig zu essen.

Es öffnet ein verwundert dreinblickender Mann. Wir scheinen zur Unzeit zu kommen. Entschuldigen Sie die Störung, sage ich, ist es möglich, ein wenig Wein bei Ihnen zu kaufen? - Jetzt?, fragt er zurück. - Wir sind nur auf der Durchreise, aber wenn wir unpassend kommen, ist es auch nicht schlimm.

Er denkt nach, wie wir sehen. Er ist ein Problemlöser, kein Abwehrer, das merkt man sofort. Ich komme sofort mit Ihnen, sagt er. Das Weingut ist am Ende des Dorfes. Er beschreibt uns den Weg und sagt, dass er sofort mit dem Auto nachkommt. Sein Sohn sei aber auch im Weingut.

Wir laufen los, immer die dunkle Dorfstraße entlang, überqueren die Bundesstraße und sind da. Da kommt er auch mit dem Auto angefahren, bittet uns zu folgen, entschuldigt sich für das Durcheinander, das uns erwarten wird, wie er sagt, denn sie seien am Umbauen. Und sie bauen gerade ein Museum aus. Ein Museum?

Wir gehen durch eine Lagerhalle und dann eine Treppe hinunter. Hier stehen Vitrinen, darin sind Amphoren, an den Wändern Bilder und Skulpturen, eindeutig antik. Logisch, wir sind hier an der Mosel, in der Region, in der die Römer vor zweitausend Jahren mit dem Weinbau begonnen haben. Während wir uns vollkommen unbekannte Weingetränke probieren, hören wir gebannt unserem Gastgeber zu.

Anfangen hat seine Leidenschaft für die Spuren der Römer damit, dass er bereits als Kind auf den Äckern und in den Weinbergen Scherben und andere Fragmente aus der Römerzeit gefunden hat. Später hat er Weinbau studiert und als Winzer gearbeitet, aber nie das Interesse an den Römern verloren. So las er, was ihm in die Finger kam, beschäftigte sich mit Archäologie und nahm Kontakt zu Universitäten auf. 

Stets mit dem speziellen Interesse an den Weinbautechniken der Römer: wie stellten sie ihren Wein her, wie lagerten sie ihn? Scherben von Amphoren gehörten seit jeher zu den Fundstücken vor der Tür. Amphoren aus Ton. Wie wurden sie abgedichtet? Auch an dieser Frage hat unser Winzer geforscht und Antworten gefunden. 

Bevor neuer Wein heute in Flaschen gefüllt wird, lagert er über längere Zeit, mindestens über Monate, in Fässern, früher Holzfässer, heute sehr oft in Tanks aus Metall oder Kunststoff. Worin lagerten die Römer ihre Weine? - Die Antwort ist simpel: ebenfalls in Tonbehältern, und zwar in sehr großen, in sogenannten Dolien. Davon ist eines hier im Museum ausgestellt, ein anderes wird tatsächlich benutzt.

Denn neben den klassischen Weinen der Region produziert dieses Weingut auch Getränke nach den Rezepten der Römer. Auf der Weinliste stehen Amphorenweine, Vinum Austerum und der mit Honig gesüßte Vinum Mellitum sowie in Rot und in Weiß  der römische Gewürzwein Mulsum - das Getränk der Legionäre und Allzweckmittel gegen alle möglichen Wehwechen. Eine Art Zaubertrank? Den kaufen wir gleich. 

Alle Getränke sind von der Lebensmittelaufsicht genauestens untersucht und freigegeben worden. Denn die Gesetze in Deutschland sind streng, und was sich Wein nennen darf, ist strikt festgelegt. Im Garten des Weingutes steht ein kleiner römischer Tempel, in dem bei schönem Wetter die Weinproben stattfinden. Es gibt natürlich auch Gästezimmer und auch Platz, um ein Wohnmobil abzustellen. Gastfreundschaft wird groß geschrieben.

Dank seines Alleinstellungsmerkmals, seines Bekanntheitsgrads unter den Archäologen und des immerwährenden Interesses an guten Weinen reist unser Winzer auch der Weltgeschichte umher und hält Vorträge und Weinproben ab. In wenigen Jahren will er das Weingut an seinen Sohn übergeben, der längst mitarbeitet, dann hat er noch mehr Zeit für seine Leidenschaft.

Viel später als gedacht, und um viele neue Informationen zu ganz alten Traditionen und Techniken bereichert, verlassen wir mit einer Kiste Wein unter dem Arm Weingut und Winzer und suchen in der Dunkelheit den Wohnmobilstellplatz. Jetzt schnell das Kochen nachholen, denn wir haben ordentlichen Hunger. Und der Wein, den wir bereits getrunken haben, sowie der, der noch getrunken werden will, benötigt eine solide Grundlage.

Was für ein schönes Erlebnis. Da gehst du durch einen dunklen Ort auf der Suche nach einer - beliebigen - Flasche Wein und klopfst an die Tür eines absolut außergewöhnlichen Weinbauern, der sich die Zeit nimmt, dich in eine neue alte und höchst interessante Welt mitzunehmen. Ganz herzlichen Dank.

Auf dem Platz ist zwischenzeitlich ein zweites Wohnmobil dazugekommen, das weit entfernt von uns parkt. Es ist schön, so alleine am Flußufer zu stehen. Die Motorgeräusche der vorbeifahrenden Binnenschiffe begleiten uns die Nacht über. Wir freuen uns auf den nächsten Morgen, denn dann geht es weiter nach Echternach. Aber dieses Abenteuer beschreiben wir im nächsten Beitrag.


Das Video zu unserer Tour ist bereits online unter tinyurl.com/Mosel-Luxemburg



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