Richtung Schwäbische Alb: wo die Donau erst versickert, dann aber durchbricht

Teil 2 unserer Rauhnächtereise durch den Schwarzwald und auf die Schwäbische Alb. Von Hinterzarten ins Donautal und weiter auf den kargen Höhenzug der Alb.

Der Wohnmobilstellplatz in Hinterzarten gönnt uns eine ruhige Nacht. Die Plätze sind eben, und obwohl hier bemerkenswert viele Züge durchfahren und auch der ein oder andere Bus ein paar Meter weiter startet, haben wir kaum ein Geräusch gehört. Sehr schön ist auch, dass der Platz nachts kostenfrei genutzt werden kann, erst ab acht Uhr morgens will der Automat gefüttert werden.

Jetzt werden erst einmal wir gefüttert, bei einem familiären Frühstück in einer hübschen Ferienwohnung, währenddessen der Camper sich auf dem grundstückseigenen Parkplatz breit machen darf. Als Intervallfaster, der das Frühstück grundsätzlich ausfallen lässt, freue ich mich über die Ausnahme eines morgendlichen Croissants und eines frischen Brötchens.

Danach ziehen wir weiter. Von Westen her ist ohnehin weiterer Regen angesagt, erst in der kommenden Woche soll eine neue Kältefront an der Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Winterwetters arbeiten. Wir fahren nach Osten. Am Donnerstag sind wir bereits in der Nähe von Tübingen verabredet, auf der Fahrt dorthin wollen wir über das Donautal zur Schwäbischen Alb fahren, für uns beide noch Terra Incognita. 

Zunächst folgen wir der B 31 Richtung Villingen-Schwenningen. Gleich hinter Titisee-Neustadt führt die hier gut ausgebaute Straße über die gewaltige Gutachtalalbrücke steil bergauf, um danach über eine waldarme Hochebene zu führen. Der Verkehr ist mäßig. Als uns dann eine längere Baustelle mit einer Tempo 30-Begrenzung abbremst, flippt ein Mercedes-SUV-Fahrer hinter uns in der schnell entstandenen  Schlange fast aus: So ein teures schnelles Auto, und dann zwingt man ihn zum Langsamfahren. Als die Baustelle endlich vorbei ist, sprintet er bei Gegenverkehr an ein paar Autos vorbei, um dann die nächsten zwanzig Kilometer so schnell wie alle im Verkehr weiterzuzockeln.

Die meisten Autos fahren bei Donaueschingen nach Norden Richtung Villingen-Schwenningen ab, wir fahren geradeaus weiter. Damit lassen wir auch den Donauursprung links liegen, denn bei Donaueschingen vereinigen sich bekanntermaßen Breg und Brigach zur Donau. Die Straße verläuft bald parallel zu diesem hier noch jungen europäischen Strom. Die Quelle der Breg nahe Furtwangen haben wir im März noch besucht. 

Im Tal zwischen Immendingen und Möhringen stoßen wir auf das nächste Naturphänomen: die Donauversinkung. Der karstige Boden bewirkt, dass das Wasser nicht nur versickert und sich im Boden verteilt. Vielmehr bildet das Gestein eine unterirdische Gabelung, durch die das Wasser gerichtet weiterläuft und gut 12 Kilometer südöstlich im sogenannten Aachtopf nahe des gleichnamigen Ortes wieder ans Tageslicht kommt und als Flüsschen bei Radolfzell in den Bodensee mündet und damit das Rheinwasser bespeist. 

Es ist, als könne sich die Donau nicht entscheiden, welche Richtung sie an der europäischen Wasserscheide einschlagen soll: Richtung Nordsee oder Richtung Schwarzmeer. Faktisch tut sie beides.

Besonders viel Wasser versickert in den Sommermonaten. Das Phänomen wird seit dem 19. Jahrhundert erforscht. Die Wissenschaft geht davon aus, dass es im Laufe der Zeit zunehmen wird, bis das Wasser von Breg und Brigach vollständig in den Bodensee abfließt. Dann wird die Donau mit weniger Wasser auskommen müssen.

Wir fahren zum ausgeschilderten Parkplatz und schauen uns die Versinkung an. Der Fluß führt gerade reichlich Wasser, zu sehen ist, dass die Fließrichtung an einigen Stellen zu drehen scheint. Das sind die Stellen, an denen das Wasser auch nach unten in den Boden fließt. 

Unsere nächste Station ist Tuttlingen, wir parken am Donauufer und schauen uns die Fußgängerzone an. Tuttlingen erlebte 1803 ein Feuer, bei dem die Innenstadt vollständig ausbrannte und anschließend nach modernen Vorstellungen neu aufgebaut wurde. Das lässt sie sehr nüchtern (und langweilig) erscheinen. Deshalb fahren wir weiter nach Beuron, hier soll ein donaunaher Wohnmobilstellplatz sein, auf dem wir die Nacht verbringen könnten.

Wir fahren durch Fridingen, von wo es nach einer 270 Grad Abzweigung hoch auf den Berg und durch den Wald geht. Am Berghaus Knopfmacher ist ein Aussichtspunkt beschildert. Hier stoppen wir. Es regnet wieder, aber die Aussicht ist spektakulär. Wir sind mitten im Donaudurchbruch, schauen von oben auf das von hohen Felsen eingerahmte Flusstal. 

Die Donau hat sich durch den Höhenzug der Schwäbischen Alt gegraben. Vom Knopfmacherfelsen, auf dem wir stehen, können wir nach Osten bis zum Kloster Beuron schauen, nach Südwesten, wo die Donau gerade herkommt, steht auf einem sehr schmalen, steilen und hohen Felsen ein Gebäudekomplex, der so aussieht, als wolle er gleich herunterfallen. Es handelt sich um Schloss Bronnen, eine Burganlage, die ursprünglich aus dem 12. Jahrhundert stammt, natürlich im Laufe der Zeit erneuert und umgebaut wurde und heute noch im Privatbesitz der Adelsfamilie von Enzberg ist, die ihren Wohnsitz standesgemäß in einem Schloss im nahen Mühlheim hat.

Die wenigen Kilometer nach Beuron verlaufen zunächst auf der Höhe, bevor eine enge Straße sich dann nach unten ins Donautal herabwindet. Bei einem kleinen Soldatenfriedhof erreicht die Straße den Hang, das Kloster ist in seiner beeindruckenden Größe zu sehen. Wir rollen runter. Der Wohnmobilstellplatz befindet sich gleich vorne am großen Parkplatz der Klosteranlage. Es stehen auch bereits zwei Fahrzeuge auf dem Platz. 

Wir suchen uns einen Stellplatz aus und gehen zum Bezahlautomaten. Hier die Ernüchterung: der Automat nimmt nur Münzen an. Wir sollen 16 Euro in Münzen zahlen und benötigen dazu noch weitere Münzen für den Stromanschluss. Nach zwei landstromfreien Nächten wird die Aufbaubatterie keine weitere Nacht bei winterlichem Stromverbrauch mehr durchhalten. Neben dem Ticketautomaten steht ein Geldwechselautomat. Toll. Allerdings ist der außer Betrieb. 

Beide Automaten sehen recht neuwertig aus. Wer kommt auf die Idee, einen Ticketautomaten, den eine vermutlich internationale mobile Zielgruppe nutzen soll, mit ausschließlicher Münznutzung zu installieren? In einer Zeit, in der sogar die Kredit- und Girokarten in die Jahre kommen, in der vermehrt mit dem Smartphone bezahlt wird? 

Die Antwort ist einfach, wenn wir daran denken, dass in den letzten beiden Jahren der Corona-Pandemie deutsche Gesundheitsämter sich dadurch profiliert haben, Daten per Telefax zu übertragen. Die hier zuständige kommunale Behörde wird ähnlich drauf sein. Willkommen im Neuland.

Unsere Münzen reichen nicht, wir fahren weiter. Der nächste Stellplatz mit Stromanschluss liegt in einem Dorf namens Bärenthal. Ohne den Strombedarf würden wir erst gar nicht suchen, sondern uns irgendwo hinstellen. Wir fahren zunächst donauabwärts bis Hausen, dann durch das enge Tal hoch nach Schwenningen, von dort zur Wallfahrtskapelle der Maria, Mutter Europas und dahinter den extrem schmalen Weg den Hüttenberg runter ins Bärenthal.

Die Strecke ist lohnenswert: Von der Donau den Berg hinauf führen Serpentinen, dann verläuft die Straße durch den Berg, durch das sogenannte Felsentor. Rechts im gegenüberliegenden Hang steht die Ruine Schloss Hausen im Tal. Weiter oben steht der Wartturm. Hier könnte man mehr Zeit verbringen. 

Die moderne Wallfahrtskapelle gehört zu einer Vereinigung namens "Gebetsverbund Maria Mutter Europas", die laut Impressum ihrer Website mit dem Benediktinerkloster Beuron verbunden ist. Hinter der Kirche wird der Weg einspurig, dann erreicht er die Kante, an der das Plateau endet und der Hang ins Tal führt. Über Serpentinen geht es einspurig weiter, es herrscht kaum Verkehr, auch gibt es Ausweichplätze. 

Unten am Ortseingang sind wir bereits am Stellplatz angekommen, Der ist leer, eine Kette schließt die Zufahrt ab. Laut Park4Night ist er ganzjährig geöffnet und hat sehr positive Bewertungen erhalten. Im Lokal, zu dem der Platz gehört, brennt Licht. Die Tür ist verschlossen, wir klingeln. Kurz darauf kommt ein Mann und öffnet. Ist der Stellplatz geöffnet? - frage ich. Hängt doch eine Kette vor - antwortet er.  Wir haben geschlossen. Das ganze Hin und Her mit den Coronabestimmungen war uns zu stressig - ergänzt er. 

Na toll. Aber Park4Night ist nun einmal nur so exakt, wie es die Rückmeldungen der Nutzer:innen hergibt. Also nicht lange ärgern, weiterfahren. Wir klettern den Berg über den schmalen Weg wieder hinauf und fahren zurück zur Donau. Ein paar Kilometer flussabwärts ist ein weiterer Stellplatz angegeben. Er liegt auf einem größeren Gelände, dazu gehören ein Fahrradladen und offenbar ein landwirtschaftlicher Betrieb. An der Einfahrt ist der Wohnmobilstellplatz ausgeschildert.

Beim Einfahren passieren wir mehrere Personen, die uns zur Kenntnis nehmen, aber darüber hinaus ignorieren. Auf dem Stellplatz angekommen, suchen wir eine Anmeldemöglichkeit und finden sie an der Innenwand eines großen Stallgebäudes. Wir füllen den Anmeldezettel, der dort vielfach herumliegt, aus und versuchen, uns zu orientieren. Wie funktioniert das mit dem Strom? Wo gibt es Frischwasser? An der Wand steht auch, dass man sich im Fahrradladen anmelden soll. Wir gehen also dorthin.

Der Fahrradladen ist geschlossen, die Person, die wir von weitem im Fenster gesehen haben, entpuppt (sic!) sich als Schaufensterpuppe. Da ruft jemand von irgendwoher, es sei geschlossen. Wer hat gerufen? Hinter uns zwei Jungs mit einem Trecker. Der eine von ihnen wiederholt: der Platz sei geschlossen. Aha. Schön, dass wir das jetzt auch erfahren. Man hätte es einfacher lösen können, etwa mit einem Hinweisschild an der Einfahrt. Ist das so schwer?

Also weiter. Meine Laune sinkt langsam, aber es lohnt nicht, sich den Tag davon beeinträchtigen zu lassen. Ein paar Kilometer weiter liegt schon der nächste Wohnmobilstellplatz. Es ist ein Parkplatz, der von einem Sichtschutzzaun umgeben ist und auf dem Anhänger und Fahrzeuge abgestellt sind. Sieht nicht schön aus. Jetzt ist es nicht mehr weit bis Sigmaringen, also fahren wir besser weiter bis dorthin.

Der Stellplatz in Sigmaringen ist leicht zu finden. Hier stehen schon ein paar Wohnmobile, die Anmeldung am Automaten ist einfach zu bewerkstelligen, Strom wird per Ein-Euro-Münze an der Säule bezahlt. In der Nähe des Platzes befindet sich ein großer Supermarkt mit Bäckereien und sogar mit WC's, die während der Marktöffnungszeiten zugänglich sind. Der Stellplatz gehört zu einem Campingplatz, der aber offensichtlich jetzt im Winter geschlossen ist.

Wohlgemerkt: wir sind auf einen Stellplatz für diese Nacht fixiert, weil wir sicherheitshalber einen Stromanschluss nutzen wollen, denn der erhöhte Strombedarf im Winter hat unsere Lithiumbatterie nach zwei Nächsten freistehen schon gut beansprucht. Mangels Sonne liefert das Solarpanel auf dem Dach nichts hinzu, und das Fahren alleine hat nicht ausgereicht, um die Batterie wieder ordentlich auzufüllen. Den Batteriezustand kann ich jederzeit über eine Smartphone-App checken. Nach dem überraschenden Stromausfall in Slowenien bin ich vorsichtig geworden.

Wir kaufen ein wenig im Supermarkt ein und ergänzen unseren Gemüsevorrat unter anderem um Brokkoli. Im Omniabackofen bereite ich uns Dinkelnudeln mit viel Gemüse zu. Danach einen Tee - mit einer gefüllten Gasflasche im Heck klappt doch alles besser. Wir vertreiben uns die Zeit mit dem letzten Tatort aus der Mediathek, den wir am Macbook schauen. Der Krimi ist voller Udo Lindenbergs, wo doch schon ein einziger zu viel des Guten ist.

Nach einer ruhigen Nacht folgt ein ruhiger Morgen. Abends hatte sich noch ein weiterer Kastenwagen neben uns gestellt. Ansonsten stehen hier zwei omnibusgroße Vollintegrierte und einälterer teilintegrierter Ducato mit drei Achsen. Drei Achsen bedeuten auch fünfzig Prozent höhere Reifenkosten. Wozu denn das?

Heute morgen schauen wir uns die Innensstadt von Sigmaringen an. Der Weg dorthin ist nicht weit. Die Altstadt liegt auf einem Hügel, über dem diese riesige Hohenzollernfestung thront. Der lokale Adel - es handelt sich um den Familienzweig Hohenzollern-Sigmaringen der Hohenzollern-Dynastie, die es bis zum Kaiser des Deutschen Reiches gebracht hat -  ist allgegenwärtig: die Straße in die Altstadt heißt Fürst-Wilhelm-Straße. Linker Hand gleich das Hof-Theater, einstmals aus, natürlich, herrschaftlicher Hand - Anton-Aloys hieß der betreffende Hohenzoller - ins Leben gerufen, diente es später als Kino, in der letzten Dekade eine ambitionierte Kleinkustbühne, dann wegen des fehlenden Brandschutzes geschlossen. Im Erdgeschoss ist ein Café, offensichtlich gerne besucht, wie man sieht.

Links und rechts der Straße schöne alte Häuser, recht hoch, wie das in kleinen engen Altstädten üblich war. Die Fläche war klein, also wurde schon früh in die Höhe gebaut. Oben dann ein kleiner Wochenmarkt, hier besteht Maskenpflicht. Links der Aufstieg zur Burg. Geradeaus ist die Altstadt schnell zu Ende, Karlstraße und Karlsplatz schließen sich an, darauf das Denkmal eines Fürsten. Wie der wohl hieß?

Das große Gebäude am Platz beherbergt keine Fürsten, sondern unterschiedliche Gewerbebetriebe. Im Sommer sorgt ein Springbrunnen für Erfrischung. Parallel zur Fürst-Wilhelm-Straße verläuft die Schwabstraße, eine kleine Fußgängerzone. Es gibt nicht viel zu sehen. Wir gehen jetzt hoch auf den südlich gelegenen Hügel mit der weit sichtbaren Josefkapelle. Das dauert gut zehn Minuten und geht kontinuierlich steil bergauf. Das tut uns gut, ein kleiner Ausgleich für das lange Sitzen im Auto. 

Von der Josefskapelle - ein Fürst aus dem 17. Jahrhundert namens Johann hat sie erbauen lassen, ein schlankes, achteckiges Gebäude - schauen wir von oben auf die Altstadt und über sie hinaus auf das gesamte Umland. Toller Blick. Ein in der Renaissance geprägter Baumeister namens Hans Albertal hat das Sakralbauwerk entworfen, nur kurze Zeit später wurde es im Barockstil eingehübscht. 

Wir gehen auf der östlichen Seite den Hügel hinunter, durch ein Wohngebiet, vorbei an der Theodor-Heuss-Realschule zur Hedinger Kirche, eine ehemalige Klosteranlage mit Gräbern der Fürstenfamilie. Die Kirche ist leider coronabedingt geschlossen. Auch die berühmte Hedinger Weihnachtskrippe, eine riesige 250 Jahre alte Barockgrippe, ist dieses Jahr nicht zugänglich.

Von der Kirche ist es nicht weit bis zur Donau, eine Fußgängerbrücke führt uns hinüber. Wir gehen ein Stück den Fluss entlang bis zu einer Eisenbahnbrücke, wechseln erneut das Ufer und laufen den Bogen, den der Fluss hier schlägt, Richtung Schloss. Linker Hand zunächst unansehnliche Gewerbegebäude, dann ebenfalls architektonisch wenig ansprechende Mehrfamilienhäuser.

Bald sind wir am Fuß des Felsens, auf dem das riesige Schloss steht. Links entlang wären wir gleich wieder am Karlsplatz angelangt, wir bleiben aber am Fluss und folgen dem Fußweg mit offenem Mund und Blick nach oben auf die senkrecht hervorragende Burganlage. Die Burg stammt ursprünglich aus dem 12. Jahrhundert, ist seit dem 16. Jahrhundert bis heute im Besitz der Hohenzollern. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert, erlebte Zerstörung, Wiederaufbau, Modernisierung, Erweiterung.

Erwähnenswert ist, dass die Nazis das französische Kollaborationsregime von Marschall Pétain nach der Landung der Allierten in Frankreich hier untergebracht haben. Nach Kriegsende hielt Frankreich das Schloss bis 1951 beschlagnahmt. Seitdem ist es wieder in Familienbesitz.

Vom Uferweg her ist die breite und schmale Anlage in ihrer vollen Größe zu sehen. Jetzt schließen wir den Kreis über die Burgstraße zurück in die Altstadt und gehen über eine Treppe und durch eine Gebäudeburgen hindurch hoch zum Vorplatz des Schlosses. Hier ist der Besuchereingang. Der Eintritt kostet 12,50 Euro pro Person, aber die Zeit für eine Besichtigung wollen wir uns heute nicht nehmen, denn wir wollen noch weiter, wir wollen noch etwas von der Schwäbischen Alb sehen, bevor wir am Nachmittag bei Freunden aufschlagen.

Im Camper nehmen wir ein kleines Frühstück ein, neben uns der Kastenwagen,  ein La Strada Avanti, steht auch noch da, die Fahrerin kocht sich ebenfalls gerade einen Kaffee. Anschließend entsorgen wir noch Grau- und Schwarzwasser, dann verlassen wir Sigmaringen.

Wir wollen nicht über eine der Bundesstraßen nach Norden fahren, sondern suchen uns eine interessante Nebenstrecke. Die Wahl fällt auf das Schmeiental, das ein Stück nordwestlich von Sigmaringen beginnt. Bereits nach dem Dort Unterschmeien ist die Landschaft sehr schön geworden, nach Oberschmeien jedoch wird es geradezu idyllisch. Die Straße ist einspurig und verläuft parallel zum entgegenfließenden Flüßchen Schmeie oder Schmiecha nach Norden. Der Fluss ist kurz, hört aber auf zwei Namen.

Hinter einer niedrigen Eisenbahnbrücke und nach einer unübersichtlichen Linkskurve liegt linker Hand ein Park- und Grillplatz. Hier halten wir. Das Tal lädt zu einer kleinen Runde zu Fuß ein. Wir überqueren den kleinen Fluss oder größeren Bach über eine Brücke und gehen einen breiten Feldweg das Tal in nördlicher Richtung entlang. 

Das Tal verläuft in engen Schleifen, die relativ neu aussehende Bahnstrecke verläuft dagegen schnurgerade mittendurch, auf Brücken durch das Tal, die Höhenzüge brutal durchschneidend. Es handelt sich um die Strecke der Hohenzollernbahn von Tübingen nach Sigmaringen, auch Zollern-Alb-Bahn 1 bezeichnet. Die Strecke ist eingleisig, nicht elektrifiziert und wird von Neigetechnik-Triebwagen befahren. Jüngst erst wurde südlich von Storzingen eine 140 Jahre alte Brücke durch eine neue ersetzt.

Das Tal wirkt, abgesehen von dem gut begehbaren Feldweg und der es durchschneidenden Bahnstrecke, sehr naturbelassen, die Vegation am Flüsschen ist auch im Winter üppig. Wie zur Zeit überall, weist auch die Schmiecha oder Schmeie einen hohen Wasserstand und eine bemerkenswerte Fließgeschwindigkeit auf. 

Ein gutes Stück hinter der neuen Eisenbahnbrück verlassen wir den Weg und folgen einem Pfad den Hügel hinauf. Hier ist ein Aussichtspunkt aufgeführt, der Lange Felsen. Dort gehen wir hinauf und haben einen Blick auf den Ort Storzingen. Er liegt idyllisch im Tal, sieht aber mit seinen überwiegend modernen und modernisierten Einfamilienhäusern architektonisch uninteressant aus. Jetzt ist es Zeit zurückzugehen.

Der kleine Parkplatz ist gut frequentiert, es scheint ein beliebter Spot zu sein. Wir machen also Platz und fahren weiter. In Storzingen endet die einspurige Straße, wir wollen jetzt schnell zu unserem Ziel kommen und fahren zur Bundesstraße 423, die ein paar Kilometer weiter östlich verläuft. Unser Ziel ist Gomaringen, das Navi leitet uns quer durch die Alb, bis wir bei Hechingen den Höhenzug wieder verlassen. In der Ferne ist die Burg Hohenzollern zu sehen, diesmal die Behausung des preußischen Familienzweigs. 

Jetzt kurven wir noch durch ein paar Orte, bis wir schließlich Gomaringen erreichen. Diese und die daraffolgende Nacht verbringen wir in der Ortsmitte parkend im Wohnmobil. Am Neujahrsmorgen brechen wir frühzeitig auf. Wir haben noch bis zum Sonntag Zeit und wollen auf dem Rückweg in Bad Wildbad im Schwarwald Station machen. 

Die Fahrt ist kurz und verläuft quer durchs Land, vorbei an Rottenburg, Nagold und rauf auf den Schwarzwald, wieder runter ins Tal der kleinen Enz, bevor die Straße nach einem letzten Anstieg am Rand des hier breiten Enztals hinunter nach Wildbad führt, wo wir die Stadt von Süden her erreichen.

Am südlichen Ende, in Höhe des Kurparks, liegt ein kleiner Wohnmobilstellplatz. Er sieht nicht gerade gemütlich aus, denn er ist Teil eines Parkplatzes am Rand der Durchgangsstraße. Aber er erfüllt seinen Zweck, bietet Ver- und Entsorgung und Strom, den wir jetzt nach zwei autarken Nächten und einer nur kurzen Fahrt zum Wiederaufladen der Aufbaubatterie vorsichtshalber wieder in Anspruch nehmen wollen. Nach der Erfahrung des ersten Winters werden wir die bereits gute Batterieleistung an Bord noch erhöhen und auch das Chemieklo gegen eine Trockentrenntoilette austauschen. Das Stehen auf offiziellen Plätzen und die Suche nach Strom und Entsorgung liegt doch vollkommen konträer zur Freiheitsidee des Campens.

Am Automaten zahlen wir mit Karte die Parkgebühr von 15 Euro für 24 Stunden. Auf Google-Maps und Park4Night wird die Höhe der Gebühr kritisiert, aber wir finden sie für die Lage und dafür, dass die Kurtaxe in Höhe von 3,30 Euro je Tag und Person darin enthalten ist, absolut angemessen. 

Der Platz ist leicht abschüssig, aber wir wählen die letzte der quer angeordneten Parkbuchten und stehen absolut eben. Mit Hilfe unseres 25 Meter-Kabels zapfen wir den Strom von der etwas entfernt stehenden Säule. Der Anschluss kostet 1 Euro für 8 Stunden. 

Gegenüber befindet sich die Entsorgungsstation. Es ist an Widerlichkeit nicht zu überbieten, was manche Zeitgenossen an diesen, zugegeben oft suboptimal konstruierten, Stationen veranstalten. Sie sind nicht in der Lage, den Inhalt ihres Chemieklos in den Ausguss zu kippen und den Abfluss zu spülen. Kein Wunder, dass Camper an vielen Orten nicht gerne gesehen sind.

Ein Ärgernis, das am nächsten Tag noch stärker auftritt, sind die PKW, die regelwidrig die Wohnmobilstellplätze zuparken. Das wird offensichtlich nicht geahndet.

Wir nutzen den Tag und gehen gleich durch den Kurpark in die Innenstadt. Der schmale Park verläuft entlang der Enz mit Wegen an beiden Ufern. Hübsch anzusehen ist der Maurische Pavillon, im Gegenlicht der tiefstehenden Sonne leuchten die Haare der beiden älteren Damen mit Hund, die sich darin unterhalten. Die kleine Holy Trinity Church ist im 19. Jahrhundert für die vielen britischen Gäste des Kurbads errichtet worden, umgeben von zwei eigens angepflanzten Mammutbäumen. 

Ums Eck herum ein größeres flaches Gebäude mit einer wenig ansprechenden Gastronomie. Gegenüber in einer noch weniger ansprechenden Geschäftspassage befindet sich eine kleine historische Bilderschau, nach der es sich bei dem Gastronomiegebäude um die frühere Trinkhalle des Kurbades handelt. Jedoch ist die Glas-Guseisenarchitektur aus dem 19. Jahrhundert längst einem gesichtslosen Gebäude gewichen. 

Ebenfalls aus dieser Zeit stammt das Königliche Kurtheater, gleich neben der Trinkhalle. Wie in vielen vergleichbaren Fällen verfiel das Gebäude in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, um allmählich durch das Engagement einzelner wieder ins öffentliche Bewusstsein zu geraten. Nach einer Restaurierung ist es heute wieder in Betrieb. 

Jetzt sind wir am Ende des Kurparks angekommen, die Innenstadt schließt sich an, eng im Enztal von steilen Hängen an beiden Ufern eingerahmt. Viel Platz ist nicht in der Stadt, und so ist ein Mischmasch aus altehrwürdigen Gebäuden und Nachkriegszweckbauten entstanden. Alte Luxushotels neben schlichten Kurkrankenhäusern, Ein-Euro-Läden neben noblen Cafés.

Hier in der Innenstadt endet eine Straßenbahnlinie, nein, sie nennt sich S-Bahn. Sie kommt aus Pforzheim, einige der Züge fahren sogar bis runter nach Karlsruhe. Das ist eine bemerkenswert gute Bahnverbindung.  Das wünscht man sich doch überall.

Das Tal ist tief, die Sonne oben. Der westliche Höhenzug heißt nicht ohne Grund Sommerberg. Mit der Sommerbergbahn lassen sich die knapp 300 Meter Höhendifferenz schnell überwinden. Dank unseres Parktickets erhalten wir auch die Ermäßigung der Gästekarteninhaber. Denn die Touristeninformation hat geschlossen, so dass wir keine Gästekarte bekommen konnten. Die Standseilbahn wurde vor mehr als 100 Jahren eröffnet und in der Zeit bis heute mehrfach modernisiert, zuletzt vor gut zehn Jahren, als der vollständige Gleiskörper erneuert und völlig neue Wagen eingesetzt wurden. 

Oben auf der Höhe herrscht etwas mehr Betrieb, aber coronabedingt ist es viel ruhiger, als es an einem üblichen ersten Wochenende im Jahr der Fall sein dürfte. Wir laufen den Waldweg in Richtung Baumwipfelpfad. Am Eingang zu diesem hat sich allerdings eine Schlange gebildet, aber wir wollen ohnehin nicht hinein, sondern gehen parallel zu dem höher gelegenen Stegsystem am Boden weiter. Im Zentrum des Baumwipfelpfads steht der knapp 40 Meter hohe Aussichtsturm, breit angelegt, damit er über eine kreisrunde Rampe stufenfrei erstiegen werden kann. Nur wenige hundert Meter hinter dem Turm wartet die nächste Attraktion, eine Hängebrücke.

Wildline heißt diese fast 400 Meter lange und nach oben gebogene Hängebrücke, deren Seile jeweils an einer Pylone an den Enden gespannt sind. Ein positiver Fakt: die Brücke kann auch mit Rollstuhl und Kinderwagen passiert werden. Negativ: die Nutzung kostet je Person zur Zeit 9,50 Euro. Dafür kann man mit etwas mehr Aussicht und gut 60 Meter über dem Boden eine Strecke überqueren, die alternativ am Rand des Tals in knapp einer Viertelstunde kostenfrei zurückgelegt werden kann. Klingt nach Spielverderber? Aber gerne doch.

Angesichts der Zeit, es wird ja Anfang Januar früh dunkel, treten wir den Rückweg an und gehen über einen recht steilen Pfad zurück in den Ort. Dort drehen wir im verbleibenden Tageslicht noch eine kleine Runde und suchen uns schon einmal ein Lokal für ein frühes Abendessen aus. Das Traditionslokal in der König-Karl-Straße sagt uns am meisten zu. Etwas unterhalb liegt ein hübsches Café, es ist kaum jemand drin, also gehen wir rein, lassen gemäß den "2G+"-Bestimmungen unseren Impfstatus checken und nehmen einen Cappuccino. Bis vor wenigen Minuten muss es sehr voll gewesen sein und vor dem Haus hatte sich eine Schlange gebildet, entnehmen wir dem Gespräch der Mitarbeiterin mit zwei Gästen. 

Später gehen wir in das große Lokal. Die junge Bedienung mit dem unbewegten Gesichtsausdruck ist hinter ihrer Maske kaum zu verstehen, aber wir folgen ihr einfach mal. Und tatsächlich platziert sie uns an einen freien Tisch im hinteren Bereich und lässt uns zwei Speisekarten da. Die Wahl ist schnell getroffen: ich komme nicht an den Linsen mit selbstgemachten Spätzle und der Siedewurst vorbei, Ingrid nimmt überbackene Maultaschen. Dazu ein gezapftes dunkles Bier, eine seltene Ausnahme auf unserem Speiseplan. 

Wir sind noch vor dem abendlichen Ansturm gekommen, nach und nach kommen weitere Gäste und auch mehr Personal hinzu. Die jungen Frauen, die hier arbeiten, sind sämtlich in merkwürdige Kleider gewandet, die wohl eine schwarzwälder Tracht darstellen sollen. Dazu zählt auch ein allzu freizügiges Dekolletée mit nach oben gepresster Brust. Es kann mir niemand erzählen, dass die Frauen sich aus freien Stücken so kleiden. Im Unterschied zu dem untersetzten Mann gehobenen Alters in seiner kurzen Hose, die ihn ebenfalls nicht vorteilhaft kleidet, der offenbar der Wirt selbst ist. 

Das Essen jedenfalls ist gut - reichlich und schmackhaft -, und nach einer guten Stunde geben wir den Platz wieder frei, der Andrang nimmt noch zu. Wir gehen zurück zu unserem Wohnmobil und lassen den Tag, gut gewärmt von der Dieselheizung, beim ersten Tatort des Jahres und einem Glas Wein ausklingen.

Am nächsten Morgen machen wir wieder auf frühe Vögel. Wir wollen nachmittags zuhause in Wiesbaden sein und vorher noch eine größere Runde durch die Umgebung drehen. Am Vortag ist uns bereits die Grünhütte ins Auge gestochen, die so ungefähr in  zwei Stunden Laufweite entfernt liegt. Auf der Website steht, dass sie dort Pfannkuchen mit Heidelbeeren anbieten. Da ist natürlich kein Halten mehr.

Heute verzichten wir auf die Bergbahn und laufen den Sommerberg hinauf. Um neun Uhr morgens ist noch kaum ein Mensch unterwegs, viele Wege führen vom Tal auf den Berg, die Beschilderung ist ausreichend, in Kombination mit Google-Maps, Maps.me und Komoot ist die Navigation durch den Wald kein Hexenwerk. 

In diesem großflächigen, waldreichen Schwarzwald verlaufen viele Weg einfach schnurgerade. Das ist nicht gerade interessant und dämpft die Freude in klein wenig. Bedingt durch eine Wegsperrung ziehen wir trotz der geraden Wege einen größeren Kreis durch die Landschaft und kommen auch tatsächlich nach ungefähr zwei Stunden bei der großen Hütte an. Natürlich kann man sie auch mit dem Auto erreichen, und so ist hier schon um kurz nach elf am Sonntagvormittag ordentlich was los. Die Frau an der Selbstbedienungstheke ist routiniert an der Grenze zur Unfreundlichkeit, wir erhalten in kurzer Zeit dank der guten Organisation zwei Becher Kaffee und zwei wirklich große Pfannkuchen mit wirklich vielen Heidelbeeren darauf. Und sie schmecken wirklich gut. 

Ansonsten entspricht die Atmosphäre eher der Frankfurter Zeil als einer romantischen Berghütte, so dass wir zügig den Rückweg antreten. Jetzt wählen wir eine andere Strecke, die sich tatsächlich als interessanter herausstellt. An einer Stelle führt uns Google Maps (sic!) über einen fast vergessenen und längst zugewachsenen Pfad, unter und über kreuz und quer liegenden Baumstämmen, dichten Sträuchern und massivem Geäst. Auf einem liegenden Baumstamm ist nicht nur eine dicke Schicht Moos gewachsen, auch kleine Tannenbäumchen wachsen auf ihm. 

Das Tal ist erreicht, den Fluss entlang geht es zurück zum Stellplatz. Die meisten Wohnmobile sind weg, dafür stehen etliche PKW auf den reservierten Stellplätzen. Ich begehe den Fehler, die Fahrerin eines Mercedes Vito darauf aufmerksam zu machen, dass sie falsch parkt und erhalte nur das zu erwartende Unverständnis. Regeln gelten nur für andere, auf einen Regelverstoß aufmerksam zu machen ist selbst ein Verstoß gegen ungeschriebene Regeln. 

Wir benötigen noch etwas Zeit für die Entsorgung. Die Schweinerei an der Station ist zwischenzeitlich verschwunden. Die Schwarzwasserentsorgung geht recht schnell vonstatten. Mit dem Grauwassertank verhält es sich etwas schwieriger, da der Ablass beim Dexter mitten unter dem Fahrzeug sitzt und der Bodeneinlass nicht weit auf die Fahrbahn ragt. Letztlich gelingt es, indem ich den Ducato ganz dicht an die Säule manövriere. 

Jetzt geht's durch die Stadt - nein, jetzt sehen wir erst, dass die Innenstadt untertunnelt ist und der Autoverkehr darunter durch geführt wird. Der Tunnel ist ganze eins Komma sechs Kilometer lang. Das Navi kalkuliert eine Fahrzeit von gut drei Stunden und führt uns über Pforzheim auf die A 8 nach Karlsruhe.  Auf der A 8 herrscht schon dichter Verkehr, am Dreieck bei Karlsruhe wird es stockend, die errechnete Fahrzeit immer länger, so dass wir gleich abfahren und die B 10 zur anderen Rheinseite und zur A 65 nehmen. Hier haben wir den ersten Stau erst hinter Neustadt an der Weinstraße, den nächsten dann bei Schifferstadt. 

Die errechnete Ankunftszeit rückt immer weiter in die Ferne, so dass wir, wie viele andere auch, eine kleine Umfahrung vornehmen. Aus den drei werden am Ende vier Stunden, aber das war am Wochenende nach Neujahr mehr als vorauszusehen. Und was zählt mehr, als unbeschadet wieder zuhause angekommen zu sein.

Zur Ankunftsrountine gehört nach dem Hochschleppen des Gepäcks in den dritten Stock und dem zügigen Starten der Waschmaschine auch das Einschalten der Kaffeemaschine. Erst als wir mit der ersten Tasse Kaffee auf der Couch sitzen, fühlen wir: wir sind zuhause.

Kommentare