Ein Wochenende an der Mosel (Teil 2): rauf auf den Hunsrück und über die Geierlay-Hängebrücke

Am Sonntag scheint die Sonne an einem anderen Ort als diesem. Wir müssen ohnehin aufbrechen und fahren auf dem Rückweg hoch auf die Hunsrückhöhe. Eine Mutprobe erwartet uns: die Querung einer Hängebrücke über eine tiefe Schlucht.

Am Sonntagmorgen ist das Wetter umgeschlagen. Der Himmel ist bedeckt, die Stimmung grau. Wir nehmen uns Zeit für das Frühstück und beobachten dabei die Reiher auf der Insel vor dem Campingplatz. Sie stolzieren im Wasser, um den Frühstücksfisch zu fangen, und fliegen ihre Nester an, um die Beute abzuliefern. Ein Rabe hüpft am Ufer entlang und interessiert sich für all die Dinge, die vor dem Wohnwagen nebenan stehen.

Heute verlassen wir Zell und entsorgen noch bei der Ausfahrt. Vor uns sind noch zwei andere Kastenwagen, aber dann werden wir das Grauwasser los und können auch das Chemieklo leeren.

Hoch auf die Bundesstraße und weiter Richtung Alf, St. Aldegund, Bremm, vorbei am gewaltigen, fast senkrecht hochragenden Calmont. In Nehren überqueren wir die Mosel und fahren vorbei am romantischen Beilstein nach Bruttig-Fankel. Dort biegen wir rechts ab und fahren steil hinauf auf die Hunsrückhöhen. 

Kaum haben wir die Höhe erreicht, führt die Straße wieder steil runter ins Tal. Bei der Kreuzung an der Pulgermühle interpretiere ich das Bild des Navis falsch und fahre den nächsten Berg hinauf und weiter bis nach Altstrimmig. Erst dort fallen uns die merkwürdigen Anweisungen des Navis auf. Wir sind falsch und fahren zurück ins Tal, wo wir an der Mühle vorbei einen anderen Abzweig nehmen, den wir beim ersten Mal nicht gesehen hatten.

Wieder geht es den Berg hinauf auf eine Hochebene. Wir passieren Schilder, die ein Verkehrsleitsystem ankündigen. Wir nähern uns Mörsdorf, der Besuch der Hängebrücke ist offensichtlich durchorganisiert. Laut der Beschilderung existieren mindestens vier große Parkplätze. Der erste ist weit außerhalb, wir nehmen den zweiten. Es sind schon mindestens 30 Fahrzeuge auf dem Platz, er wirkt trotzdem leer. Kein Problem, den Ducato abzustellen. 

Der Parkscheinautomat gibt Rätsel auf, aber ein zuvorkommender Mitarbeiter der Gemeinde hilft uns. Das Parken kostet hier 6 Euro. Der Weg zur Brücke ist ausgeschildert, auch ein Besucherzentrum samt WC ist auf den Schildern aufgeführt. Wir werden über eine Zickzackstrecke in das Dorf geleitet. Gut organisiert, die Autos müssen draußen bleiben.

Auf dem Weg kommen wir an einem weiteren Parkplatz vorbei, der einen Bereich für Wohnmobile vorhält. Laut Ausschilderung kostet es für das Wohnmobil 10 Euro für 12 Stunden und 18 Euro für 24 Stunden. Toiletten sind auch am Platz.

Das Dorf ist so langweilig und abgelegen wie jedes beliebig andere, aber der Hängebrückentourismus scheint Leben hineinzubringen. Die Bäckerei ist geöffnet, gegenüber ein Getränkestand und am Besucherzentrum ist es sehr lebendig. Die Toilettenbenutzung kostet 70 Cent, 50 davon können als Bon gleich am Kiosk verwurstet (oder in Kaffee investiert) werden. 

Weiter unten im Dorf haben Frauen einen Kuchenverkaufsstand aufgebaut, sie sammeln Spenden für die Ukraine. Wir ersteigern zwei Mikropizzen und zwei Muffins für später. Der Weg zieht sich über geteerte Wirtschaftswege raus aus dem Dorf und über die Felder. Eine große Hinweistafel gibt Einblick in die Entstehungsgeschichte der Brücke.

Wie so oft hängt alles von der Initiative einzelner ab. Mörsdorf, mitten im Hunsrück und weitab von den Ballungszentren gelegen, kämpfte mit der Abwanderung jüngerer und erwerbstätiger Einwohner:innen. Drei Männer aus dem Dorf, unter ihnen der heutige Bürgermeister, entwickelten die Idee, eine Brücke über den tiefen Einschnitt zu bauen, durch den weit unten im Tal der Mörsdorfer Bach fließt, um den Ort und die Umgebung für den Tourismus interessant zu machen. 

Das Projekt scheiterte zunächst an den Kosten, wurde aber ein paar Jahre später wieder aufgegriffen und realisiert, als die Gemeinde mit Windenergieerzeugung neue Einnahmequellen erschloss. Heute ist die Brücke Besuchermagnet und Jobmotor. Neue Stellen wurden im Besucherzentrum und der Anlagenwartung geschaffen, lokale Unternehmen und Initiativen profitieren ebenfalls. Und durch eine intelligente Verkehrssteuerung ist es den Mördorfern gelungen, ihren Ort nicht durch Autoverkehr ersticken zu lassen. Geht doch.

Wir entfernen uns vom Ort, den man jetzt aus der Entfernung sieht, wie in einer Kameraeinstellung aus Edgar Reitz' Hunsrückfilmen. Im Coronalockdown war die Brücke geschlossen, jetzt ist unter Einhaltung von Sicherheitsregeln, auf die große Tafeln hinweisen, die Begehung wieder möglich. Am Eingang wird kontrolliert, es gilt die 3G-Regel. Für die Durchführung der Kontrolle werden zwei Euro je Person kassiert, ansonsten ist die Überquerung der Brücke kostenfrei. 

Jetzt stehen wir vor der Brücke. Der Hang fällt steil und tief nach unten, die Schlucht ist breit. Die Brücke ist 360 Meter lang und ragt an der tiefsten Stelle 100 Meter über dem Abgrund. Die Stegbreite beträgt 85 Zentimeter, der Abstand zwischend den stabilen Geländern, die vom Boden bis zur Oberkante mit engmaschigem Draht bespannt sind, 1,40 Meter, der Boden ist mit Planken aus Douglasienholz belegt. Als Vorbild für diesen Brückentyp dienten die Hängebrücken in der Himalayaregion Nepals. 

Schwindelfreiheit sollte man mitbringen. Haben wir dabei, also los. Wir warten, bis eine kleine Gruppe vor uns Abstand gewonnen hat und betreten dann die Brücke. Sie schwankt. Der Hang fällt sofort ab, wir sind weit oben in der Luft. Der Blick ins Tal auf die Hänge, den kleinen Bach, die Windungen links und rechts, das ist großartig. 

Wie die Bezeichnung Hängeseilbrücke es formuliert, ist dieser Brückentyp ohne Stützpfeiler konstruiert. Von beiden Enden sind Seile über die Distanz hängend gespannt, so dass der Weg auf der Brücke zunächst bis zu einem tiefsten Punkt bergab führt und dann bis zum Ende wieder aufsteigt.

Einmal drauf, wollen wir gar nicht wieder runter. Es gibt so viel zu entdecken, aus jeder Perspektive bietet sich ein neuer Blick in die nahe und ferne Landschaft. Es ist März, die Bäume sind noch kahl, so dass wir den Bach im Tal blau hervorleuchten sehen und die Schieferformationen des Bodens. In beiden Richtungen verzweigt sich der tiefe Landschaftseinschnitt in alle Richtungen, biegen kleinere Täler vom größeren Tal ab, in denen ein kleiner Wasserlauf fließt und den Mörsdorfer Bach speist.  Der vereinigt sich später mit dem Flaumbach und mündet bei Treis-Kaden in die Mosel.

Am anderen Brückenende schauen wir auf die gesamte Länge zurück, Wahnsinn, wie stark das Gefälle auf der Brücke ist. Hier auf der Westlichen Seite ist nur ein Ausgang, kein Eingang zur Brücke. Die Unzäunung und das von außen nur schwer zu öffnende Tor sollen verhindern, dass es trotzdem jemand tut. 

Wir verlassen das Gelände und nehmen einen der ausgeschilderten Rundwanderwege, die unter der Brücke hindurch in das Tal hinein führen. Auch der Blick von unten auf die Holz-Stahl-Konstruktion ist spektakulär. 

Unten im Tal verzweigt sich der Weg, wir wählen den, der in südöstliche Richtung bachaufwärts im Tal verläuft und vom Talgrund aus einen weiteren Blick auf die Brücke bietet. An der Abzweigung sind die meisten Brückenbesucher in der anderen Richtung weitergegangen, so dass wir fast alleine sind. Abgesehen von denjenigen, die 100 Meter über uns entlang gehen. 

Vor einer verlassen aussehenden Mühle queren wir den Bach über eine alte Steinbrücke. Dahinter steigt der Weg sanft, aber stetig an und nach einigen Windungen erreichen wir die Höhe. Der Weg bringt uns zurück zu unserem Ausgangspunkt in Mörsdorf. Wir gehen denselben Weg zurück durch das Dorf zum Parkplatz. 

Vor der Bäckerei blockiert ein parkendes Ducatowohnmobil vollständig den  stark frequentierten Gehweg. Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit Fahrer:innen den abgetrennten Fußgängerbereich für ihre Autos beanspruchen und sich dabei noch im Recht wähnen. Die Straße ist breit und wenig befahren, kein Problem, ein Auto auf der Straße zu parken. Offenbar hat ein Autofahrer mehr Respekt vor anderen Autofahrerinnen als vor Fußgänger:innen. Merkwürdige pervertierte Wahrnehmung einer automobilen Gesellschaft.

Wir erreichen unseren Camper und verlassen den Parkplatz. Ein paar Kilometer später suchen wir uns eine Parkmöglichkeit am Straßenrand, wo wir uns bei einer Tasse Kaffee die im Dorf gekauften Muffins schmecken lassen, bevor wir über die Autobahn langsam nach Wiesbaden zurückzockeln, dem sanften und ruhigen Ende dieses schönen Wochenendes entgegen.


Das Video zu dieser Episode auf Youtube: tinyurl.com/CK06-Geierlay

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