Im Mittelrheintal (Teil 2): Oberwesel und die Schönburg

Der zweite Tag meines Ausflugs an den Rhein beginnt ausgeruht mit einem Kaffee, während der Regen aufs Dach des Campers trommelt, was der schönen Aussicht auf Oberwesel aber keinen Abbruch tut. Heute schaue ich mir die Stadt und die Burg an.

Der Übernachtungsplatz am Rande der kleinen Straße in den Weinbergen erwies sich als gut gewählt. Ob in der Nacht Autos am Camper vorbeigefahren sind - ich habe nichts gehört und fest geschlafen. Der Morgen schenkt mir die außergewöhnlich schöne Aussicht auf das Rheintal und Oberwesel. Es ist stark bewölkt, später fängt Regen an, der bis mittags immer wieder einmal, wie es für den Monat April typisch ist, auftaucht und wieder verschwindet.

Das Video zum Blog: am Ende des Beitrags und auf Youtube unter tinyurl.com/CK08-Oberwesel

Nach dem Kaffee und der Morgentoilette breche ich auf. Bevor ich runter nach Oberwesel fahre, schlage ich einen Bogen über Urbar und von dort über den Spitzen Stein nach Niederburg und zurück ins Tal. Niederburg ist ein wirklich schön in der Landschaft gelegenes Dorf, etwas abseits vom Rheintal in den Hunsrückhängen versteckt. 

Auf Park4Night wurde ein kleiner Stellplatz abseits der Straße beschrieben. Ich fahre einen kleinen steilen Feldweg hoch, absolut machbar für den Ducato, und stelle das Auto gleich am Wegrand ab, um zu Fuß ein Stück weiter zu gehen. Nach zweihundert Metern durch Wald und Sträucher erreiche ich einen Aussichtspunkt mit Schutzhütte, gut hundert Meter direkt oberhalb meines Übernachtungsplatzes. Hier steht ein weiterer Ducatocamper, in kräftigem Orange, von den Insassen ist nichts zu sehen. Ein toller Platz für die Nacht, da sich hier auch nicht viele Wohnmobilisten hintrauen. 

Die enge Straße runter nach Oberwesel macht Spaß mit dem großen Auto. Ich überlege, nahe der Kirche Sankt Martin zu parken, die hinter dem Taleinschnitt etwas erhöht über dem Ortskern liegt. Dazu muss ich erst einmal runter auf die Koblenzer Straße, fahre ein Stück in südlicher Richtung und finde dann, dank der Ausschilderung, die nächste enge Straße bergan. Weder hier noch oben an der Kirche gibt es eine Parkmöglichkeit, in der ich den großen Van guten Gewissens stehen lassen kann. Also fahre ich erst einmal weiter und bin schnell raus aus dem Ort. 

Okay, dann drehe ich eine Runde durchs Hinterland, das lohnt sich landschaftlich absolut. Bergauf durch den Wald, Kurve um Kurve bis nach Damscheid. Dort biege ich links ab auf eine kleinere Straße, die nach ein paar Kilometer des sich Hinschlängelns auf die nächste Stichstraße runter ins Rheintal trifft. Auf der geht es zurück nach Oberwesel.

Auch von dieser Seite kommend sieht es nicht so gut mit Parkplätzen in der benötigen Größenordnung aus, so dass ich kurzentschlossen hinter dem Bahnhof wieder den Berg hinauf fahre bis zur Schönburg. Dort gibt es genügend nicht reglemtierte Parkplätze. Ich stelle also das Auto ab und schaue mir erst mal die Schönburg an.

Die Schönburg ist eine sogenannte Höhenburg, der Begriff erklärt sich aus der exponierten, nahezu unangreifbaren Lage auf einem steilen Felsen, dessen Plateau die Burg vollständig ausfüllt. Der mächtige Gebäudekomplex ist bereits im 12. Jahrhundert entstanden und weist die übliche wechselvolle Geschichte derartiger Anlagen auf. 

Die namensgebenden Ritter von Schönberg waren Verwalter der eigentlichen Herren des Landes. Aufgrund eines sehr komplizierten Erbrechts stieg die Zahl der Miteigentümer schon im 13. Jahrhundert auf gut 100 an, die zum Teil auch auf der Burg lebten und sie mit drei Bergfrieden und drei abgeschlossenen Wohnbereichen ausstatteten.

In den üblichen Wirren der Zeitläufte hierzulande wurde die Burg schließlich zerstört. Der Deutschamerikaner Oakley Rhinelander ließ sie Ende des 19.Jahrhunderts wieder aufbauen, die Stadt Oberwesel kaufte 1950 die Burg von dessen Erben, anschließend wurde sie Sitz einer Einrichtung des Kolpingwerkes und beherbert daneben ein Hotel. Im an Burgen und Burgruinen reichen Mittelrheintal ist die Schönburg für mich, neben der Marxburg in Braubach, ein absoluter Höhepunkt

Über eine Zugbrücke geht es in die Vorburg, der Innenhof ist von hohen Gebäuden gesäumt. Ein weiterer Durchgang führt in den inneren Burghof. Hier ist der Eingang des Hotels, daneben ein Bistro. Im Durchgang zu diesem Burgteil befindet sich der Zugang zu einem Museum. 

Vom Innenhof gelangt man durch den nächsten Durchgang zu einem nördlichen Plateau, das einen freien Blick auf die Stadt Oberwesel, den Rhein und die umliegenden Höhen von Hunsrück und Taunus bietet. An diesem immer noch regnerischen Wochentag habe ich den Aussichtspunkt für mich allein, ich kenne es auch anders, an schönen Sonntagen ist die Burg ein beliebtes Ausflugsziel.

Über die Zugbrücke verlasse ich die Burg wieder. Hinter dem Hotelparkplatz startet der kleine Pfad runter in die Stadt. Er führt mich durch die wilde Vegetation und vorbei an einem weiteren Aussichtspunkt namens Elfenley. In der Kirchstraße komme ich raus und gehe vorbei an der katholischen Kindertagesstätte, einer Grund- und einer Realschule Richtung Stadtmitte.

Der ganze Ort hat eine Steillage zum Fluss hin, die Straßen sind, obwohl der Ort so alt ist, weitgehend rechtwinklig angeordnet, die Quergassen sind abschüssig, teilweise mit Treppenstufen ausgestattet.

Über die Chablisstraße bin ich morgens in den Ort hineingefahren, sie kommt aus dem Ortsteil Engehöll, der Name wurde nicht grundlos vergeben, dunkel liegt der Taleinschnitt eingequetscht zwischen zwei Höhenzügen. Ich gehe gleich gegenüber in die Gasse Am Rasselberg und komme hinter der Stadtbebauung südlich vom Stadtgarten raus. 

Über einen schmalen Pfad bin ich schnell am Tor zum Stadtgarten. Er wird am hinteren Ende von der hohen Stadtmauer umzäumt. Die Mauerkrone ist begehbar, also gehe ich über die enge steile Steintreppe in der Mauer nach oben. Der Blick ist erwartungsgemäß großartig. Nach ungefähr 50 Metern ist der Weg zu Ende, der alter Stadtturm ist verschlossen. 

Nach Süden ein schöner Blick über die Mauer, entlang des sprießenden Grüns, vorbei an der roten Liebfrauenkirche, die in der Ferne herausragt und hoch zur Schönburg. Richtung Rheinufer breitet sich der alte Ortskern aus, hier fällt besonders die Ummauerung des alten Minoritenklosters auf. Innerhalb der Mauern aus dem 13. Jahrhundert ragen hässliche Nachkriegswohnhäuser heraus, ein merkwürdiger Kontrast. 

Der lässt sich aus der Geschichte erklären: Das Klosterleben wurde unter Napoleonischer Herrschaft Anfang des 19. Jahrhunderts aufgelöst, ein Brand in der Stadt trug zur Zerstörung der Gebäude bei. Nach diesem Brand siedelten sich Bewohner auf dem Gelände des früheren Klosters neu an.

Die Lage der Stadt sagte offenbar schon den Kelten zu, die lange vor den Römern hier siedelten. Für die Römer wiederum diente der Rhein als Grenze zum Reich der Goten, auf der zwischen den Militäragern in Mogontiacum (Mainz) und Confluentes (Koblenz) angelegten Straße befand sich im heutigen Oberwesel eine Militärstation.

Nach dem Römern kamen während der Völkerwanderung in einer unwirtlichen Zeit, in der hier nur wenige Menschen lebten, die Franken. Das Hofgut, das auf dem Gebiet Oberwesels entstand, war offenbar lukrativ genug für die überregionalen Herrscher. Dabei geriet es auch in den Besitz des Erzstiftes in Magdeburg und später in den des Kaisers Friedrich Barbarossa, der sich auch mitunter auf der mittlerweile erbauten Schönburg aufhielt.

Im Laufe der Zeit schaffte das erstarkte Bürgertum der Stadt, sich von den Herrschaftsverhältnissen gegenüber den wechselnden Adelsgeschlechtern zu befreien und reichsfreie Stadt zu werden. In diesem Zusammenhang enstand die heute noch in weiten Teilen vorhandene rundherum führende Stadtmauer. An der Statusänderung maßgeblich beteiligt waren der Stauferkönig und Kaiser des heiligen römischen Reiches Friedrich II sowie König Richard von Cornwall aus dem Haus Plantagenet, ebenfalls amtierender deutscher König und Sohn des in den Robin Hood-Saga-Adaptionen gerne verspotteten Heinrich Ohneland und somit Neffe des legendären Richard Löwenherz.

Natürlich kommt auch die Geschichte Oberwesels nicht ohne den zu allen Zeiten und an allen Orten immer wieder aus den Löchern hervorkriechenden Antisemitismus aus. Nachdem sich in der bedeutsam gewordenen Stadt eine jüdische Gemeinde gebildet hat, führte der Tod eines jungen Tagelöhners namens Werner zu einem andauernden überregionalen Pogrom. 

Die Geschichte um den ermordeten Werner setzt sich bis in die Gegenwart fort. Denn gleich nach dem Tod begann eine Verehrung des Verstorbenen, es wurden auch angebliche Wunder gemeldet und die Heiligsprechung beantragt. Beim Bau des Oberweseler Hospitals zeitnah nach dem Mord wurde die hier entstandene Kapelle nach Werner benannt, ebenso eine zur Wallfahrtskirche augebaute Kapelle im benachbarten Bacharach.

Ein Relief an der Außenwand der Oberweseler Wernerkapelle manifestierte die Behauptung der Ermordung durch "die" Juden. Obwohl die Kanonisierung in Rom ausblieb, wurde Werner seitdem als lokaler Heiliger gefeiert und später auch in den Heiligenkalender des Bistums Trier aufgenommen. In den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entzündete sich eine Kontroverse zur Entfernung des Reliefs, die dann schließlich doch noch erfolgte. Die Kapelle wurde 2008 in Mutter-Rosa-Kapelle umbenannt, nach der Gründerin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen, Rosa Flesch.

Die Kapelle steht an der Rheinseite des Ortes, gleich an der Stadtmauer und im Bereich des Klinikums. Ein drastischer Kontrast aus Alt und Neu begegnet dem Besucher an vielen Stellen in der Stadt, nicht nur in den Häusern, die in der Ruine des Minoritenklosters errichtet worden sind. Es ist nunmal ein lebendiger Ort und kein Freilichtmuseum.

Durch den Heumarkt gehe ich den Berg hinauf bis zur Pfarrkirche Sankt Martin. Die kleinen bunten Häuser am linken Straßenrand bilden einen charmanten optischen Flickenteppich. Im kurzen sichelförmigen Martinsberg steht das alte Fachwerkküsterhaus, mit seinen roten Holzbalken und dem spitzen Gibel bestimmt das schönste Haus in Oberwesel, aber leicht zu übersehen neben der großen Kirche. Der große Bau wurde bereits im 14. Jahrhundert begonnen, als die Vorgängerkirche gerade fertig gewesen sein muss, und erst zweihundert Jahre später beendet.

Hinter der Kirche schließt sich der Friedhof an, eine Mauer grenzt das Gelände zur Straße hin ab. Gegenüber kommt die Stadtmauer raus. Imposant der große Michelfeldturm, einer von vielen Türmen der Stadtmauer. Ein Fußweg führt diesseits des Mauergrabens entlang. Ein paar Türme weiter, am Kuhhirtenturm, zeigt eine hochgezogene Zugbrücke, dass hier früher ein Eingang zur Stadt gewesen war. Der Turmname deutet an, wer hier ein und aus gegangen ist.

Zurück zur Kirche und über einen abschüssigen Weg runter Richtung Rhein. Gleich die Rückseite der Häuserreihe der Kölnischen Turmgasse weist wieder einen der starken architektonischen Kontraste zur nahegelegenen Stadtmauer auf: Balkone aus dem späten 20. Jahrhundert mit frisch gewaschener Wäsche. 

Hier unten ist ein interessantes Straßengefälle. Die Turmgasse verdeckt fast vollständig den Garten des darunter liegenden italienischen Lokals, denn dessen Gebäude gehört zu parallelen Planstraße, deren Niveau ein Stockwerk tiefer liegt und zur Niederbachstraße verläuft. Nach links in die Niederbachstraße hineingeschaut, sehe ich, dass sie unter einer Brücke die Koblenzer Straße kreuzt. Etwas weiter rechts unterquert dann eine weitere Unterführung die Eisenbahntrasse und gibt den Weg zur Bundesstraße frei.

Ich bleibe aber im Ortskern, denn ich habe eine kleine Treppe hoch auf die Stadtmauer entdeckt. Das vollständige Stadtzentrum entlang bleibe ich auf dem Weg oben auf der Stadtmauer. Links der Rhein, die Grünanlage vor dem Ufer, die Bundesstraße und die Bahntrassse, rechts die Wernerstraße, später die Rheinstraße, dann die Häuser, die sich ins Zentrum quetschen müssen. Zu Beginn das große Klinikum, das seinen Ursprung im spätmittelalterlichen Hospital hatte, dann passiere ich durch die äußeren Bögen die frühere Werner- und heutige Mutter-Rosa-Kapelle.

Auf den ersten Turm, den Steingassenturm, kann ich über eine steile Leiter hinaufklettern. Über zwei Zwischengeschosse führt der Weg nach oben. Ein toller Blick in alle Richtungen. Am anderen Rheinufer der dicht bewachsene mächtige Rossstein, unten die rechtsrheinische Bahnlinie, die hier gerade in den Tunnel übergeht, der Rhein, über den heute wieder ein Schiff nach dem anderen fährt, und schließlich das linke Ufer mit seinem unterschiedlichen Verkehrsgewimmel. 

Leider ist das Ende der Stadtmauer irgendwann erreicht, es ist schon nach zwölf Uhr, so langsam bekomme ich Hunger. Zeit für meine erste Mahlzeit. Ich gehe zurück durch die Liebfrauenstraße, die Verlängerung der Koblenzer Straße, links und rechts mit ein paar Geschäften gesäumt, es sieht nicht besonders belebt aus. Hier zwischen dieser und der nächst höheren Kirchstraße hat man einen halb unterirdischen Busbahnhof hineingequetscht.

Ein unerwartetes Kleinod sind die Schaufenster des Kunstraumes Oberwesel, aus denen mir Gegenwartskunst entgegenschaut. Im rechten Fenster ein kindhafter Josef Goebbels, über dessen Konterfei überlebensgroß der stechende Blick des Wladimir Putin schockartig daran erinnert, in welcher Zeit wir gerade leben.

Über den Burgweg gehe ich zurück, durch einen Torbogen, der den Beginn des Wegs zur Elfenley und zur Burg markiert. Ringsherum blühen die Sträucher, das erste zarte Grün sprießt hervor, vor mir die Burg, unter mir das enge Tal, durch das der Oberbach, aus dem Hunsrück kommend, fließt. Links der Rhein und die auf ihm laut tuckernden Frachtschiffe. Es ist wirklich schön.

Ich habe keine Lust, oben auf dem Parkplatz meine Mittagspause zu machen, sondern fahre los, um mir am Rhein, irgendwo an der Bundesstraße, ein Plätzchen mit Blick auf den Rhein zu suchen. Auf der engen kurvenreichen Straße runter nach Oberwesel freue ich mich an den letzten Blicken auf die Stadt und die Umgebung, bevor ich auf die B9 nach Norden abbiege und auf ihr dem Zickzack des Flusslaufes in dieser bemerkenswerten Engstelle zu folgen. 

Der nächste Ort ist schon Sankt Goar, und bevor hinter der nächsten Kurve der eigentliche Ort anfängt, halte ich hier am Straßenrand an, vor dem Campingplatz mit dem unverstellbaren Blick auf den Loreleyfelsen. Jetzt heißt es: Schiebetür auf und ran ans Obst, es will geschnitten und anschließend gegessen werden. Wann habe ich dabei schon einmal eine solche Aussicht? 

Die nächste Etappe wird Boppard sein. Ich will zunächst rein in die Stadt und prüfen, ob ich dort am Rheinufer über Nacht stehen kann. Danach möchte ich gerne noch den Klettersteig gehen, hoch zum Vierseeenblick. Der ist wirklich was Besonderes - der Klettersteig, der Vierssenblick natürlich auch. Doch dazu im nächsten Blog.


Das Video zum Blog - auf Youtube unter tinyurl.com/CK08-Oberwesel


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