Im Mittelrheintal (Teil 3): Alpines Feeling auf dem Bopparder Klettersteig

Der zweite Tag meiner Mittelrheintour ist wirklich ereignisreich. Nach dem Besuch von Oberwesel und der Schönburg stoppe ich gegenüber der Loreley für eine kleine Pause, bevor ich nach Boppard weiterfahre. Der Mittelrhein-Klettersteig wartet auf mich. Und das wird noch nicht alles gewesen sein.

Nach der Übernachtung am Straßenrand in den Weinbergen oberhalb von Oberwesel und dem Stadtrundgang durch die Stadt sowie dem Besuch der Schönburg bin ich unterwegs nach Boppard. Es ist schon nach 12 Uhr am Mittag, es ist Zeit für mein gewohnt spätes Frühstück, da ich als Intervallfaster meine 16 Stunden Essenspause strikt einhalte. Nicht nur, dass das Intervallfasten ein wichtiger Baustein in meinem Prozess, 40 Kilogramm Gewicht zu reduzieren, gewesen ist, es tut meinem Körper einfach gut.

Auf der Suche nach einem netten Platz für meine Pause habe ich Glück. Gegenüber der Loreley, gleich vor dem Campingplatz Loreleyblick, wartet rechts der Straße eine Parklücke auf mich. Die nehme ich. Bei geöffneter Schiebetür bereite ich mein Müsli zu. An dieser Stelle kann ich den Rhein rund um den Loreleyfelsen gut einsehen. 

In dem wundervollen Buch "Der Rhein. Biographie eines Flusses" von Hans Jürgen Balmes lese ich, dass die Schiffer den Rheinabschnitt von Sankt Goar bis Bingen "im Gebirg" nennen. Hier ist der Fluss eng und kurvenreich zwischen den schroffen Schieferfelsen von Taunus und Hunsrück eingeklemmt, die Strömung ist oft genug stärker, als es vom Land aus den Eindruck hat, auch können die zahllosen Klippen, mit denen die Schifffahrt zu kämpfen hat, von uns Laien bestenfalls bei Niedrigwasser erahnt werden.

Bergauf, also nach Süden fahrende Schiffe, so lese ich bei Balmes, erreichen nur ein Viertel der Geschwindigkeit der talwärts fahrenden Schiffe und können entsprechend besser navigieren. Wo früher der Bergaufverkehr mit Fahnen vor den schnelleren entgegenkommenden Schiffen gewarnt wurde, steht heute eine Signalanlage an beiden Ufern hinter der Loreley. Bei Schiffen von bis zu 110 Metern Länge ist in den fast rechtwinkligen Biegungen kein Platz für einen Begegnungsverkehr, so dass die Schiffe aufeinander warten müssen.

Als ich hier so sitze und diese außergewöhnliche Szenerie betrachte, passiert gerade ein mit schwarzer Kohle beladener niederländischer Schleppverband den Rhein stromaufwärts. Der Campingplatz vor mir ist kaum belegt, nur ganz vorne an der Spitze steht ein typisch weißer teilintegrierter Ducatocamper, aber weiter links, in der Nähe der Eingangs, stehen weitere Fahrzeuge. 

Am gegenüberliegenden Ufer schaut flussabwärts der Ortsanfang von Sankt Goarshausen hervor, vor allem der bekannte weiße Stadtturm. Hier ist das Tal so eng, dass zwischen dem Rhein und dem Anstieg des Schiefergebirges nur eine einzige Häuserzeile hineinpasst, aus der dann flussabwärts zwei und später mehr Reihen werden. Oberhalb des Ortes thront die Burg Katz, von den Grafen von Katzenelnbogen im 14. Jahrhundert als Reaktion auf die stromabwärts bei Wellmich stehende Trierische Burg Maus errichtet.

Direkt gegenüber, unterhalb der Loreley, beginnt eine Art langgestreckte künstliche Insel, an deren Spitze eine Figur der auf Clemens Brentano zurückgehenden Balladengestalt der Loreley steht, der Sirene mit den langen Haaren, die mit ihrem Gesang die Steuerleute ablenkt und die Schiffe zum Kentern bringt. Die von der Bildhauerin Natascha Juspov geschaffene Nackte sitzt dort seit 1983. Es ist ein kurzer Weg über die Landzunge vom Parkplatz unterhalb des Felsens, mit schöner Aussicht auf die beiden Goar-Orte. 

Ebenfalls von diesem Parkplatz aus lässt sich auf direktem Weg der Loreleyfelsen erwandern. Ein steiler Treppenaufstieg führt nach oben, anstrengend, aber unbedingt lohnenswert. Die meisten Besucher reisen zeitgemäß profan und hinten herum mit dem Auto an. Die Straße nach Bornich biegt in Sankt Goarshausen ab, auf dem Plateau vor der Freilichtbühne schluckt ein riesiger Parkplatz die je nach Veranstaltung unendlich langen Fahrzeugschlangen. Das erste und letzte Mal, dass ich auf diese Weise zur Loreley angereist bin, war im Jahr 1980 anlässlich eines Konzertes von Joan Baez.

Bevor mich der Sirenengesang vollkommen einlullt, breche ich wieder auf, weg von der Loreley. Jetzt fängt es an zu regnen. Der Regen wird immer stärker, die zwei PKW vor mir bremsen ab auf weniger als 60 km/h. Der eine biegt in Bad Salzig ab, den anderen kann ich überholen. 

Kaum in Boppard angekommen, hört der Regen auf. Perfektes Timing. Ich parke nahe am Ufer und gehe erst einmal die Promenade entlang und danach in die Innenstadt. Boppard ist recht groß und fühlt sich urban an. Trotzdem wirkt die Innenstadt etwas heruntergewirtschaftet, der übliche Leerstand, wenig Leben auf der Straße. Schade. 

Dort, wo die Dinge des täglichen Bedarfs autogerecht in der Peripherie besorgt werden müssen, entfällt der Grund für den alltäglichen Gang in die City. Der Aufenthalt hier bleibt den wenigen touristischen Besucher:innen und denen, die von der Geschäftigkeit der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen sind, vorbehalten.

In Boppard gibt es eine kleine Fährverbindung zum gegenüberliegenden Rheinufer - schließlich steht auf dem gut 100 Kilometer langen Abschnitt zwischen Koblenz und Wiesbaden/Mainz keine einzige Brücke. Die Fähre in Boppard weist eine Besonderheit auf, die Autos parken quer zur Ein- und Ausfahrtrichtung auf ihr.

In einer hübschen Bäckerei, die es zum Glück noch nicht ausschließlich im Eingangsbereich der stadtrandigen Supermärkte gibt, kaufe ich etwas Gebäck. Jetzt aber los zum Klettersteig, das Wetter wird immer besser.

Ursprünglich hatte ich überlegt, hier auf dem ufernahen Parkplatz in Boppard stehen zu bleiben, auch über Nacht. Aber der Platz versprüht nicht den geringsten Charme, den Rhein sehe ich von hier aus auch nicht. Also fahre ich weiter und parke auf dem Sankt Remigiusplatz am Ortsende, ein Parkplatz mit integrierter Bushaltestelle, bahnhofs- und klettersteignah. Ausgangspunkt für alle möglichen Aktivitäten, etwa die Fahrt mit dem Sessellift nach oben.

Drei schmale Plätze sind für Wohnmobile reserviert. Der Automat fordert für diesen Fahrzeugtyp pauschal fünf Euro, egal, wie lange ich stehen will. Dafür darf ich die Nacht über bleiben. Das überlege ich mir.

Unter der Bahnbrücke durch gehe ich ins Mühltal. Das kleine Sträßchen durch das Tal endet nicht etwa am Ortsende dieses Zipfels von Boppard, es führt weiter durch das Tal und steigt immer höher den Hunsrück hinauf, bis es in Pfaffenheck unter der Autobahn 61 durchführend wieder aus dem Wald herauskommt und gleich danach ins Moseltal abfällt, wo es bei Alken mit Blick auf die Burg Thurant endet. Wir sind auf unserer Jungfernfahrt mit dem Campervan letztes Jahr dort entlang gefahren und haben zu spät gesehen, dass die Straße hinter dem Ort auf Fahrzeuge bis zwei Tonnen gesperrt ist.

Zwischen den Häusern führen der Weg zum Klettersteig und der Wanderweg auf dem Kamm, der "Ripp", aus dem Ort heraus. Während der Wanderweg unterhalb des Sessellifts geradeaus weiter verläuft, biegt der Klettersteig nach gut hundert Metern rechts ab. Ein Hinweisschild warnt vor dem Einstieg, sich der Schwierigkeit des Klettersteigs bewusst zu sein: Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Erfahrung werden vorausgesetzt. Klettersteigsets können übrigens bei der Araltankstelle am Ortseingang ausgeliehen werden.

Der Weg ist in zwei teilweise parallele Strecken unterteilt. Neben dem eigentlichen Klettersteig kommt die Wandervariante ohne Leitern, Tritte und Kletterpassagen aus. Bis vor zwei Jahren wog ich 40 Kilogramm mehr und war nicht besonders gut in Form. Vor ein paar Jahren hatte ich die Kletterpassage hier einmal abgebrochen. Deshalb will ich es heute wissen.

Ich bin auf dem Weg nach oben - als erstes kommt ein Abstieg über einen Felsen, etwa zehn Meter nach unten. Später eine steile Leiter, ebenfalls nach unten. Der Klettersteig sucht sich seinen Weg durch das dichte Gehölz und entlang der Schiefernasen. Und wieder geht es über eine Leiter steil nach unten. Der Pfad anschließend ist schmal. 

Der nächste Felsen ist jetzt aufwärts zu erklimmen, kaum oben angekommen schickt mich eine Leiter steil runter. Hinter einer Kurve hört der Pfad vor dem senkrechten Felsen auf, eiserne Trittbügel sind dort eingelassen, über die gehe ich Schritt hinter Schritt über dem Abgrund weiter, das darüber gespannte Drahtseil zum Festhalten nutzend. 

Leitern, Trittbügelpassagen, ausgesetzte Pfade im Wechsel, dabei geht es allmählich, mitunter abrupt, nach oben. Insgesamt sind auf dem Klettersteig auf einer Strecke von drei Kilometern, die 300 Höhenmeter überwindet, zehn Leitern, 130 Trittbügel und 180 Meter Drahtseil verbaut.

Zwischen den Kletterpartien längere Strecken über die schmalen Pfade, einmal zwischen dichten Sträuchern und unter knorrigen Bäumen hindurch, dann wieder mit freiem Blick auf die Traumschleife des Rheins und die dort langsam entlang ziehenden Schiffe, den Bopparder Hamm, die berühmte Weinlage, und das gegenüberliegende Filsen.

Jetzt im Frühling blüht es hier im wildbewachsenen Hang in allen Farben: weiße, violette, pinkfarbene Blumen, rosarote und knallrote Blüten an den Bäumen und Sträuchern, aus dem ersten zarten Grün der Blätter ist schon ein kräftiges Grün der Vegetation geworden.

Nach einer längeren Strecke den Hang entlang markiert ein Bachlauf einen tiefen Einschnitt, es geht wieder bergab. Der Weg teilt sich erneut, ich wähle natürlich die Kletterstrecke. Von hier unten ist der Verlauf steil nach oben über mehrere Absätze entlang des Schiefergesteins gut zu sehen. Sieht unendlich hoch aus, und verlockend.

Über zahllose Trittbügel steige ich Schritt für Schritt nach oben, mich am Drahtseil oder am nächsten Trittbügel festhaltend. Zwischendrin Absätze im 45 Grad-Winkel, dann die nächste senkrechte Passage. Nichts davon ist technisch besonders anspruchsvoll, es gilt nur, die Stufen zu treffen und sich gut festzuhalten. Und sich nicht vor der Höhe zu fürchten. 

Absatz nach Absatz geht es nach oben. Jetzt kommen mit Holz eingefasste Stufen. Auf eine der Stufen hat jemand "leave no one behind" geschrieben. Schön. Jetzt bin ich fast oben, der parallele Wanderweg stößt dazu, auf einem breiteren Weg gehe ich weiter, kurz darauf öffnet sich der Wald, vor einer Bank ist die Sicht frei auf den Rhein und den Bopparder Hamm. Sogar die Marksburg bei Braubach ist zu sehen, sie lugt weiß leuchtend hinter dem Bergkamm hervor.

Rechts unter mir Filsen in der Rheinschleife, im Nordosten, ebenfalls auf dem gegenüberliegenden Ufer, Osterspai. Das linksrheinische Spai dagegen versteckt sich noch hinter der nächsten Kurve.

Mein Weg schlägt noch einen recht großen Bogen, in der Ferne sehe ich das Lokal am Vierseenblick, es scheint noch ewig weit bis dorthin zu sein. Der Weg verlässt jetzt den Kamm und biegt ins Landesinnere ab. Auch wenn die Höhe längst erreicht ist, geht es immer auf und ab, links und rechts ausweichend. Der Bach, den ich weit unten schon einmal gequert habe, kreuzt hier wieder den Weg, er heißt Ewigbach. Dahinter ein kleiner Aufstieg und dann finde ich mich auf einem breiten Weg wieder, der Klettersteig ist zu Ende. 

Den Weg verlasse ich ein paar Meter weiter wieder, um auf dem nächsten Pfad entlang zum Vierseenblick zu gelangen. Der ist in zehn Minuten erreicht, das Lokal ist geschlossen, der Blick dagegen immer zugänglich. Bei den vier Seen handelt es sich - natürlich - um den Rhein, der an vier Stellen in seinem Verlauf zu sehen ist, jeweils unterbrochen von den Erhebungen dazwischen. 

Vorbei an einem großen Bikepark, an dem vorzugsweise männliche Kids das Fliegen mit ihren Fahrrädern üben, führt der Weg am nächsten Restaurant mit Aussichtsterrasse vorbei, dem Gedeonseck. Auch hier ist geschlossen, vermutlich beginnt erst an Ostern die Saison. Bis dahin regieren die Verbotsschilder über das Gelände. Also weiter. 

Die Bergstation des ohnehin geschlossenen Sessellifts lasse ich rechts liegen und gehe statt dessen direkt auf den Kamm zu. Der Wald öffnet sich, der Blick ist frei auf das Rheintal und Boppard im Vordergrund. In der Ferne hinter dem Wallfahrtsort Kamp-Bornhofen sehe ich die feindlichen Brüder, die Burgen Sterrenberg und Liebenstein, im Hang stehen. 

Der Wind weht kräftig und bringt die leeren Sessel entlang der Trasse über mir ordentlich zum Schaukeln. Rechts das enge Mühltal, durch das auch die Hunsrückbahn verläuft - besser gesagt die ehemalige Hunsrückbahn. Die Strecke verlief ursprünglich von Langenlonsheim an der Nahe über Simmern und Hermeskeil bis runter nach Boppard, band also Teile des Hunsrücks an die Bahnlinien im Rhein-und im Nahetal an. 

Das ist, wie wir wissen, eine dem Vorrang des Individualverkehrs mit dem Automobil geopferte Geschichte, dank derer wir neidvoll in Nachbarländer wie die Schweiz schauen müssen, in denen viele kleine Käffer problemlos mit der Eisenbahn zu erreichen sind. Hierzulande wurde es als Erfolg verkauft, wenn eine Bahnlinie zu einem Radweg konvertierte, so geschehen auf dem Abschnitt der Hunsrückbahn zwischen Emmelshausen und Simmern. 

Was bleibt, ist die Strecke von Boppard bis Hermeskeil. Sie gilt als die steilste reguläre Strecke im Westen Deutschlands, die steilste Adhäsionsbahn, bei der die Kraftübertragung mittels Reibung zwischen den Rädern des Zugs und der Schiene erfolgt. Im Unterschied zu Zahnradbahnen oder anderen Systemen, die bei steilen Strecken Verwendung finden. Auf dieser Strecke hier wurden die Züge leicht modifiziert, um die Steigung problemlos zu überwinden. Gerade kommt auch eine der modernen Züge langsam den Berg heruntergerollt.

Über den Kamm gelange ich schnell nach unten, Trittsicherheit ist auch hier vonnöten, wer nicht gut zu Fuß ist, sollte die Strecke meiden. 

Zurück am Camper beschließe ich, dass ich nicht hierbleiben werde. Der Parkplatz ist zu öde, links die Bahn, rechts die Straße, keine Aussicht. Das Wetter ist schön, es ist noch lange hell. Park4night hilft und schickt mich nach Koblenz. Bis dahin sind es noch knappe 20 Kilometer. Auf der Insel Oberwerth im Süden der Stadt soll es mehrere Möglichkeiten geben, mit dem Wohnmobil über Nacht stehen zu bleiben.

Ich steuere den öffentlichen Parkplatz neben dem Freibad Oberwerth an, der verspricht mir einen Blick auf den Fluss. Und wirklich: ich parke mit der Front zum Rhein ein, davor ist noch die jetzt leere Wiese des Schwimmbads. Die Rheinschiffe fahren vor meiner Nase auf und ab. 

Neben mir ein weiterer roter Ducatocamper,  daneben ein paar andere Wohnmobile, überwiegend mit Kennzeichen von hier, ses cheint also ein Platz zu sein, der von einigen als Dauerparkplatz genutzt wird. Hier wohnt auch niemand, den die Autos stören könnten. Zur Zeit zumindest, den ich stehe vor einem riesigen Altbau, dem ehemaligen königlich-preussischen Lehrerinnenseminar. ein neues Wohnquartier ist zur Zeit am Entstehen. Traumhafte Lage.

Ich habe Hunger, aber keine Lust zum Kochen. Jetzt hilft Google: auf dem Schwimmbadgelände befindet sich eine Pizzeria mit dem schicken Namen Dante. Speisekarte googlen, anrufen und bestellen ist in einem Zug erledigt. Hingehen, warten, bezahlen und mit dem Karton zurückgehen im zweiten. Das Lokal war wider Erwarten leer, die Betreiber haben sich gefreut, dass ich da war. Hoffentlich füllt es sich noch, ich würde es ihnen sehr gönnen. Die Lage ist schön, die Pizza war gut.

Beim Tee in der Dinette mit Blick auf den Rhein (und die Schiffe) sichere ich meine Daten vom Tag, schaue ein wenig Youtube-Videos und freue mich des Lebens. Am nächsten Morgen geht es weiter zu einem familiären Termin in den Westerwald. Die beiden Tagen Vanlife mit viel Bewegung in der Natur waren wieder einmal ganz großartig.


Wie in jedem Beitrag, auch hier das Video zum Blog - und auf Youtube unter https://tinyurl.com/CK09-Boppard

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