Mit dem Fahrrad ins Aartal

Der vorerst letzte sonnige Tag im Monat März. Heute will ich eine Fahrradtour ins Aartal machen, die habe ich mir schon seit Jahren vorgenommen. Der Camper bleibt also stehen, da ich von zuhause aus losfahre. Vor kurzem habe ich mir zusätzlich zu meinem alten und bewährten Tourenrad ein gut erhaltenes Mountainbike gekauft, mit dem sich die Strecken durch den Taunus hervorragend meistern lassen.

Der ausgewiesene Radweg durch das rheinland-pfälzisch-hessische Aartal existiert schon seit Jahrzehnten. Vor dreißig Jahren wohnte ich einmal kurzzeitig (und versehentlich) im unteren Aartal nahe Diez und kenne aus dieser Zeit noch die gut ausgebaute und zu fahrende Strecke zwischen Diez und Aarbergen-Michelbach. 

Seit ich in Wiesbaden lebe, wollte ich den Aartalradweg immer schon einmal komplett fahren. Jetzt erfolgt ein kurzfristig geplanter Versuch.

Für alle, die es nicht kennen: das Aartal (mit zwei A) ist nicht zu verwechseln mit dem gleich klingenden, aber geringfügig anders buchstabierten und weitaus bekannteren Ahrtal, dem in die Eifel hineinführenden Tal des für seinen Weinanbau bekannten Rheinnebenflusses, das am 15. Juli 2021 von der verheerenden Flutkatastrophe entsetzlich verwüstet worden ist.

Ein Flüßchen mit dem Namen Aar gibt es mehrmals, dieses hier ist ein Nebenfluss der Lahn von fünfzig Kilometern Länge, der in Nähe von Taunusstein-Neuhof entspringt und in Diez endet. Durch das Aartal verläuft bei Taunusstein die Bundesstraße 275, ab Taunusstein bis Diez dann die Bundesstraße 54.

Der Straßenverlauf erschwert dann auch die Einrichtung eines Radwegs. Im nördlichen, schon erwähnten Abschnitt ist das Tal breit genug, um auf der jeweils der Straße entgegensetzten Flussseite Wege zu ermöglichen, die für die Radstrecke genutzt werden. Ab Aarbergen bis runter nach Bad Schwalbach ist das Tal enger, der Aufwand für einen Radweg größer.

Das Tal wird neben der gut ausgebauten Straße auch noch durch eine Bahntrasse durchzogen. Klingt gut, oder? Leider ist diese Bahnstrecke schon seit den 1980er Jahren nicht mehr in Betrieb, sondern wurde mutwillig aufgegeben und der Zerstörung überlassen. 

Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Betrieb genommene Bahnstrecke führte eingleisig von Wiesbaden nach Diez. Dort hatte sie Anschluss an die Lahnstrecke von Koblenz über Limburg nach Gießen. Einige Züge bedienten sogar die Strecke von Wiesbaden durchgehend bis Limburg. Auch gab es bis in die 1950er Jahre einen Anschluss von Zollhaus über den Taunus nach Sankt Goarshausen und Braubach am Rhein.

Wir wissen heute alle, dass die einseitige Festlegung auf den Indidivualverkehr mit dem Automobil in der Nachkriegszeit ein großer Fehler war, dem eine bereits vorhandene und ausbaufähige Infrastruktur zum Opfer fiel. Andere Länder können das offenbar besser. Wer einmal in der Schweiz mit dem Zug unterwegs war und erleben durfte, wie schnell und gut die Eisenbahn dort - auch auf eingleisigen Strecken - in die entlegensten Winkel führt, glaubt, dass es sich im Falle Deutschland um ein Drittweltland handelt.

In den letzten Jahren wurde mehrfach der Versuch unternommen, die Strecke von Wiesbaden her für den Pendlerverkehr zu reaktivieren. Dabei sollte sie in ein Gesamtkonzept des schienengebundenen Öffentlichen Personennahverkehrs als Straßenbahn von Mainz über Wiesbaden bis nach Taunusstein einfließen. Der Bund war bereit, 90 Prozent der Kosten zu tragen. Trotzdem scheiterte das Projekt an einem mißratenenen Bürgerentscheid in Wiesbaden, bei dem sich zwei Drittel der Abstimmenden gegen die Wiederereinführung der Straßenbahn in Wiesbaden und zugunsten des Autoverkehrs aussprachen. 

Das Stadtgebiet von Wiesbaden hat ein seit Jahrzehnten  hoffnungslos vom PKW-Verkehr überlastetes Straßennetz. Nicht nur die in den Speckgürteln um die Innenstadt herum Wohnenden bestehen darauf, bis in die letzten Winkel des Zentrums mit dem eigenen Auto vorstoßen und dabei einen möglichst kostenlosen Parkplatz finden zu können, auch verlaufen mehrere Bundesstraßen in Ermangelung einer Umfahrung mitten durch Wiesbaden. 

Zurück zum Radausflug ins Aartal. Ich fahre von der Innenstadt nach Alt-Klarenthal und am Wellritzbach entlang zum Parkplatz Eishaus an der Querverbindung zum Chauseehaus. Hier nehme ich den schnurgeraden Teerweg hoch Richtung Schläferskopf, biege aber nach ca. 300 Metern rechts auf einen sanft, aber beständig steigenden Schotterweg ab, der sich den Berg entlang schlängelt und kurz vor der Eisernen Hand auf die Teerstraße zum Schläferskopf stößt. Hier geht es geradeaus weiter auf einen Weg, der parallel zur Bundesstraße 54 verläuft und hinter der Höhe ebenfalls sanft runter nach Taunusstein-Bleidenstadt abfällt. 

Durch Bleidenstadt geht es zunächst immer geradeaus auf einer wenig befahrenen Straße mitten in den alten Ortskern. Dort muss ich dann die hoffnungslos überlastete Bundesstraße kreuzen, finde gleich eine Brücke über die Aar und bin auf dem Aartalradweg.

Vorbei an den letzten Häusern von Bleidenstadt, einen Bogen um die stark riechende Kläranlage schlagend, geht es über eine Teerstraße, die an einer Tennisplatzanlage endet. Es folgt eine schmale Schotterpiste, die nach wenigen Metern die Bundesstraße quert: Radfahrer haben abzusteigen, lautet die Anweisung.

Dahinter verläuft der Weg parallel zur Straße, bis er auf die Querstraße nach Seitzenhahn stößt. Der Anschluss ist sehr schlecht ausgeschildert, ich sehe aber einen Radfahrer die Straße entgegenkommen, mein Weg biegt etwa 200 Meter weiter oben von der Straße ab.

Es geht ein Stück den Hang entlang, der Weg folgt den Windungen der Landschaftsformation, links in ein Seitental hinein, dann zurück ins Aaartal, sofort stark ansteigend. Die Steigung ist nicht ohne, aber machbar, auch ohne Motorunterstützung.  Ein Stück geht es gerade weiter, dann endet der Weg an einer steilen Straße, die von Hettenhain herunter kommt. Auch hier ist die Ausschilderung schlecht, aber es kann nur die Straße entlang zurück ins Tal gehen. 

Weiter unten dann finde ich einen Waldweg, an dem weit entfernt von der Abzweigung ein Radwegschild zu erkennen ist. Also hier entlang. Halbwegs eben, dann stark ansteigend, bis der Schotterweg an einer dicken Teerlippe mündet: Bad Schwalbach (warum assoziiere ich bei diesem Ortsnamen immer das englische Verb statt des deutschen Präfix?). 

Im Zickzack durch Wohnstraßen, stark abfallend, das Gelände der Schwälbchen Molkerei querend bis zur Hauptstraße in Bad Schwalbach. Keine Ausschilderung, wie es weitergeht. Ich verliere Zeit mit der Suche und finde eine völlig andere Form einer Radwegbeschilderung. Es kann nur diese sein. 

Rein in eine stark ansteigende und wieder kurvenreiche Wohnstraße. Sie ist sehr schmal und an einer Seite zugeparkt. Dem entgegenkommenden LKW, der eine PKW-Schlange im Schritttempo hinter sich herzieht, weiche ich auf dem linken Gehweg aus. Danach ist die Bahn frei, aber nur ein kurzes Stück, denn jetzt muss ich extrem steil den Berg hinauf fahren bis zur parallel verlaufenen höheren Straße. Ich schaffe es, ohne abzusteigen. Jetzt rechts auf die Straße und gleich ist Bad Schwalbach zu Ende.

Weiter geht es über einen Waldweg. Die nicht befestigten Wege sind fast alle in schlechtem Zustand. Maschinen und Holzfahrzeuge haben sie durchpflügt, sie sind zwar einigermaßen trocken - bei nasser Witterung wären sie unpassierbar -, aber uneben und rutschig. Gut, dass mein Rad voluminöse Reifen hat. 

Gleich geht es recht steil bergab den Hang entlang, unten ist eben verlaufende und gut ausgebaute Aartalstraße zu sehen. Kurz vor Adolfseck mündet der Weg auf die Straße. Hinter dem Ort navigiert mich die Beschilderung wieder weg von der Straße, über die Aar und unter der Bahn durch. Gleich wieder bergauf über den schwer befahrbaren Waldweg. 

Vorbei am Justinusfelsen und an der nächsten Kläranlage komme ich an einem Weiher vorbei. Es ist mittlerweile zwölf Uhr und Zeit für mein Frühstück. Da ich im Rhythmus 8/16 esse, d. h. zwischen 12 und 20 Uhr esse und zwischen 20 Uhr und 12 Uhr nicht esse, nehme ich jetzt meine erste Mahlzeit ein, sie besteht aus viel Obst, Fünfkornmüsli und etwas fettarmem Joghurt. Beim Essen sitze ich auf einer Bank vor dem Teich. Die Sonne scheint, es ist warm.

Plötzlich habe ich den Eindruck, ich werde beobachtet. Ich schaue mich um - nichts. Ich schaue aufs Wasser, schaue noch mal - und sehe, ganz klein, zwei runde Augen aus dem Wasser ragen. Ein kleiner brauner Frosch schaut mich an. Erst als er sich an meine Anwesenheit gewöhnt hat, bewegt er sich wieder und dreht seine Runden. 

Jetzt kommen auch andere braune kleine Frösche. Sie schwimmen an der Oberfläche, tauchen wieder ab, schauen sich um, schwimmen weiter, mit sehr eleganten Schwimmbewegungen. 

Mein Frühstück ist zu Ende, ich schwinge mich wieder aufs Rad. Der Weg biegt hinter dem Teich ab und steigt - natürlich - wieder an. Ich begegne einem weiteren Frosch, der sich etwas weit vom Wasser entfernt hat. Nach ein paar hundert Metern geht es im 270 Grad-Winkel zurück Richtung Tal, der Weg steigt weiter an und steigt und steigt. 

Er entfernt sich vom Tal, soweit ich das über die Baumwipfel überhaupt sehen kann. Nach längerer Strecke und einigen Wegkreuzungen komme ich aus dem Wald raus auf eine Art Hochplateau. Eine Pferdekoppel mit ein paar Pferden, dahinter ein Hof. Der Weg ist jetzt wieder geteert, nacheinander gehen ebenfalls geteerte Wege rechts ab zu freistehenden Bauernhöfen. 

Vor mir ein kleineres Haus, es scheint bewohnt zu sein, denn es stehen zwei Autos davor. Am Rand des Wegs ein Tisch mit zwei Bänken, der Tisch ist mit frischen Blumen geschmückt, das sieht sehr schön aus.

Noch ein kleines Stück bergauf, das Wohnhaus wird dabei umrundet, jetzt sehe ich in der Ferne und unter mir die Burg Hohenstein und davor das Oberdorf von Hohenstein. Der Radweg biegt links ab, ich bleibe noch auf der Geradeausstrecke und schaue mir Hohenstein von oben an. Laut Google Maps ist die Burg zur Zeit geschlossen, kein Grund also, dorthin zu fahren.

Ich kehre um und folge meinem eigentlichen Weg, dem Aartalradweg - der schon lange völlig woanders als im Aartal entlang verläuft. Jetzt geht es mal ein Stück geradeaus ohne weitere Steigung, immer die Höhe entlang mit tollen Fernblicken nach Norden und Osten.

Dann aber eine erneute Abzweigung, jetzt nach rechts. Der Weg ist gut erkennbar, er schlängelt sich kurvenreich nach unten, verschwindet im Wald, erkennbar ist, dass er vor Hohenstein runter zum Aartal abfällt. Die Burg ist jetzt vor mir, da der Weg die Richtung gedreht hat. 

Bergab geht es schnell, ich verliere an Höhe, bis ich Hohenstein-Unterdorf im Tal erreiche. Mir kommen zwei ältere Leute entgegen, die mit verdrießlichen Mienen schon hier unten ihre E-Bikes schieben. Ein Blick zurück auf Dorf und Burg, neben der Burg ragt auch an der Felskante das Oberdorf hervor, das sieht sehr spektakulär aus. Ich drehe mich um und folge meinem Weg. 

Ein paar Kilometer geht es über den Waldweg, wie gewohnt sehr holprig und bei nassem Untergrund nicht passierbar, bis der Weg an der Straße endet, die von der Aartalstraße hoch nach Laufenselden führt. Ab hier gibt es nur noch die Straße. Darüber bin ich nicht unfroh, denn jetzt kann ich endlich einmal schneller fahren.

Der Autoverkehr hält sich in Grenzen, die Straße ist ohnehin breit genug, damit Autos, auch LKW, ohne große Probleme überholen können. Ab hier bis Aarbergen, das ist eine Strecke von gut sieben Kilometern, wird der Radweg über die Straße geführt. Nach meiner Recherche sieht sich die Gemeinde Reckenroth, in deren Gemarkung der Abschnitt liegt, nicht in der Lage, einen Radweg einzurichten oder zu bauen, da sie ihren Jagdpächter nicht verärgern möchte. Keine Ahnung, ob das ein Scherz oder ernst gemeint ist.

Ich komme gut voran und erreiche bald Aarbergen-Michelbach. Der Ort schmiegt sich ins Tal, nette Altbausubstanz. Ein paar Geschäfte, sogar eine Buchhandlung. In der Ortsmitte ist ein Wohnmobilstellplatz ausgeschildert, den schaue ich mir kurz an. Er ist ebenerdig und bietet Platz für einige Fahrzeuge. Es gibt eine Ver- und Entsorgungsstation und einen Stromanschluss. Auf einer Tafel steht, die Nutzung kostet inklusive Strom nur 5 Euro die Nacht, für ADAC-Mitglieder sogar nur 4 Euro. Das ist wirklich ein sehr schönes Angebot.

Nach Komoot habe ich jetzt eine Strecke von 40 Kilometern zurückgelegt und dafür sehr lange gebraucht. Die ständigen Steigungen, die großen Umwege in die Seitentäler und auf die Höhen hinauf sind doch sehr zeitraubend, an eine Fahrt bis Diez ist in keinem Fall zu denken, da ich noch zurück nach Wiesbaden muss.

Also schaue ich auf Google Maps nach einem interessanten Zielpunkt und finde ein Eiscafé in Kettenbach, das ist der Nachbarort, ebenfalls Ortsteil von Aarbergen. In ein paar Minuten bin ich dort, der Weg wird durch das Passavant-Werksgelände geführt, vor freilaufenden Gabelstaplern wird gewarnt.  

Einen richtigen Ortskern gibt es wohl nicht, nur ein paar Hallen mit den üblichen Discountern. Hier, in einem ebenso hässlichen Containergebäude, ist der Eisladen. Immerhin ein Platz an der Sonne hinter dem Gebäude. Ich bestelle einen Cappuccino und gönne mir dazu ein Stück Zitronenkuchen. Ich bin der Meinung, mir das jetzt verdient zu haben.

Von den sinnlosen Umwegen habe ich jetzt die Nase voll und beschließe, bis nach Bad Schwalbach über die Straße zurück zu fahren. Die Strecke ist schnell bewältigt, das Schnellfahren macht auch mit dem Mountainbike Spaß. In Bad Schwalbach geht es wieder an der Molkerei vorbei den Berg hoch, dann weiter hoch bis fast nach Hettenhain, den Hang entlang und parallel zur Bundestraße rein nach Bleidenstadt. 

Hier wieder rauf zur Eisernen Hand, die Steigung ist wirklich moderat und lässt sich gut fahren. An der Eisernen Hand wähle ich denselben Weg zurück und bleibe ab Alt-Klarenthal auf der Lahnstraße. Das geht wirklich schnell. Am Ende habe ich meine 80 Kilometer auf der Uhr. Das Fahrrad landet im Keller, ich unter der Dusche und anschließend auf dem Sofa.





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