Aurlandsfjellet, Stabkirche Borgund, Sognfjord und Fjærland

Ganz schön viel, was so in einen Tag hineinpasst. Auch heute werden wir wieder eine größere Strecke zurücklegen und dabei so Unterschiedliches wie eine schneebedeckte Passstraße, zwei uralte Stabkirchen und tolle Fjorde kennenlernen. Und ein kleines Dorf voller Bücher.

Wenn das erste, was du nach dem Aufwachen siehst, ein Kreuzfahrtschiff ist, das vor deiner Nase vorbeifährt, dann hast du womöglich an einem Fjord übernachtet. So war es. Nach wie immer kurzer Nacht koche ich morgens um sechs den Kaffee und ziehe als erstes einmal die Verdunklung des Schiebetürfensters auf. 

Natürlich darf das Video zu unserem Abenteuer nicht fehlen - auf Youtube oder gleich am Ende dieses Textes eingebettet.

Ich glaube meinen Augen nicht zu trauen: ein riesiges Kreuzfahrtschiff zieht gemächlich über den Fjord nach Flåm, direkt vor uns. Was für ein Anblick. Ein paar Minuten später kommt tatsächlich noch ein zweites vorbei, kleiner als das erste. 

Wir machen uns und das Auto fertig für den Tag und ziehen weiter. Nur ein paar Kilometer sind es bis nach Aurlandsvangen. Den hübschen kleinen Ort schauen wir uns kurz an, werfen einen Blick in den Supermarkt, fahren dann aber weiter, in Vorfreude auf das Kommende.

Die Europastraße 16 mündet hier in Aurlandsvangen in den unglaublichen Lærdalstunnel, der die Hochebene des Aurlandsfjellet in einer Länge von 24,5 Kilometern  unterquert. Er gilt als der derzeit längste Straßentunnel der Welt. Für diejenigen, die Norwegens Straßen nicht zum Vergnügen nutzen, ist er mit Sicherheit eine Erleichterung, verkürzt er doch die Fahrzeit der Strecke zwischen den Metropolen Oslo und Bergen, obwohl er die Strecke gegenüber der Variante über die Hardangervidda verlängert.

Wie üblich in Norwegen existiert nur eine einzige Röhre für die zweispurige Verbindung. Die Geschwindigkeitsbegrenzung von auch außerhalb von Tunneln üblichen 80 km/h wird konsequent überprüft, ein ausgefeiltes Beleuchtungssystem soll aufkommender Langeweile entgegenwirken. 

Wir wollen keine Tunnelbeleuchtung, sondern das Land sehen, wir wählen die alte Verbindungsstraße nach Lærdal, die über das Fjellet führt, den Snøvegen  - die Schneestraße - oder Aurlandsvegen. Die knapp 50 Kilometer lange Strecke führt vom Meeresspiegelniveau auf 1.300 Meter Höhe und bei Lærdal wieder zurück auf Null. Das klingt überschaubar, aber in Norwegen heißt das, die Straße ist mehr als ein halbes Jahr wegen Schnee gesperrt. 

Jetzt, Ende Juni, ist der Pass geöffnet, aber die schneefreie Piste ist links und rechts in einer Höhe von mehr als zwei Metern von festen Schneemassen eingerahmt. Die Temperatur liegt nur knapp oberhalb der Nullgradgrenze.

Von Aurlandsvangen aus schlängelt sich die schmale Straße sanft und mit wenigen Serpentinen den grünen Hang hinauf, wir haben einen freien Blick auf den Fjord. Bevor die Straße dann das Tal verlässt, bietet die Aussichtsplattform Stegastein einen vollständigen, atemberaubenden (mir fällt kein anderes Wort als dieses mittlerweile von mir inflationär verwendete ein) Blick von 640 Metern Höhe auf den Aurlandsfjord. Man kann zurück bis Flåm schauen, wo die Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen.

Unter uns, ganz klein, liegt das geschäftige Aurlandsvangen. Gerade eben waren wir noch dort. Im Nordwesten windet sich der Fjord zwischen den Bergen entlang, irgendwo dahinten muss der Nærøyfjord nach links abzweigen und weiter rechts, nach Norden, der Aurlandfjord in den Sognefjord münden.

Hier oben ist es schon deutlich kälter. Es gibt auch - wie so oft in Norwegen - ein modernes WC-Häuschen. Sogar wer auf dem Klo sitzt, kann hier die Aussicht genießen.

Wir folgen dem Snøvegen, vorbei an einigen verstreuten Sommerhäusern. Es geht immer höher, wir erreichen die Schneegrenze. Jetzt ist es überall weiß. Die eigentliche Passstraße beginnt hinter der Schranke. Die ist geöffnet. Wir sind auf dem Fjell, es ist düster und neblig geworden. Noch liegt der Schnee harmlos am Straßenrand, doch einige hundert Meter später bildet der von den Pflügen zur Seite geschobene Schnee des Winters eine feste, mehr als zwei Meter hohe Mauer.

Auch den Nebel lassen wir hinter uns und können weit über die karge Gebirgslandschaft schauen. Links von der Straße stehen drei Häuser oder Hütten, vollkommen eingeschneit. Im Tal weit links von uns bricht die Sonne durch, die gewellte Landschaft, der leuchtende Schnee und dazwischen der Nebel, daraus entsteht ein geradezu mystisches Bild.

Wir passieren einen zugefrorenen See, dahinter fällt von einem Abhang ein Wasserfall hinein. Anhalten geht an der schmalen Straße nicht, aber wir sehen schon einen Parkplatz auftauchen, der Rastplatz Flotane mit seinem futuristischen WC-Gebäude. Hier lässt sich der Camper parken und der See zu Fuß erreichen, auch wenn wir dazu ein Stück durch den Schnee stapfen müssen. 

Die Straße fällt wieder ab, wir erreichen allmählich das Kvignadal. Den nächsten Stopp legen wir am Vedahaugane ein. Der Aussichtspunkt liegt in der Biegung zu einem Seitental. Hier oben ist ein Stück des Fußwegs halbrund betoniert und mit einer Betonsitzbank ausgestattet. Ein schöner Blick ins Tal. 

Oberhalb liegt eine kleine Höhle. Leider ist in dem Schnee kaum etwas zu erkennen. Es handelt sich um das Projekt DEN des Amerikaners Mark Dion: eine Bärenhöhle mit einem auf alten Gegenständen drapierten Bärenfell.

In einem weiten Bogen führt die Straße jetzt ins Tal hinunter. Das Flüsschen mit dem Namen Vardahaugselvi rauscht neben uns, an einer Stelle der Abfahrt bildet es einen Wasserfall. Hier unten grasen wieder Schafe, drei von ihnen schauen interessiert hinter uns her. Beneiden sie uns oder beneiden wir sie? 

Unten am Sognefjord angekommen, legen wir eine kurze Pause ein. Zeit für mein Frühstück. Danach ist es nur noch eine kleine Strecke bis nach Lærdalsøyri, dem Zentrum der Gemeinde Lærdal. Zentrum? Ein kleiner Ort, an der Straße, hier die 5, eine große Tankstelle, dahinter ein Parkplatz, erst auf den zweiten Blick sehen wir das Dorf. 

Dafür ist es umso schöner. Hinter einem kleine See liegen die weißen, gelben und roten Holzhäuser. Kaum Autos. So wie wir uns das durch die lange zurückliegende Lektüre skandinavischer, vorzugsweise schwedischer Kinderbücher immer schon vorgestellt haben. Am See die kleineren Häuser und teilweise kleine Höfe mit Scheunen. Weiter Richtung Ort stehen auch Geschäftshäuser und kleine Hotels, schnuckelige Holzhäuser mit Veranden und Ballustraden.

An der Ecke ein Souvenirladen, in den wir hineingehen. Ich entdecke große Keramiktassen mit Blumenmustern, die es mir sofort antun. Sie sind mit 200 NOK pro Stück ausgezeichnet. Egal, ich kaufe zwei. Beim Bezahlen dann die Überraschung, sie kosten zusammen 300 Kronen, das ist nun wirklich ein guter Preis.

Die Straße entlang werden die Häuser größer und moderner und damit gesichtsloser. Keine Einfamilienhäuser, sondern größere Gebäude. Auch Geschäfte und Supermärkte. Der moderne Ort beginnt hier erst, weit hinter der Old Town. Wir gehen zurück zum Parkplatz. Dort steht ein Kastenwagen, der auch von unserem Händler verkauft wurde. Südpfälzer Nummernschild. Die Welt ist klein.

Die Stabkirche Borgund ist nur ein paar Kilometer entfernt, wir machen den Abstecher dorthin, obwohl wir später nach Nordwesten weiterfahren wollen. Wieder einmal fahren wir durch einen längeren Tunnel, kurz davor konnte Ingrid schon eine flüchtigen Blick auf die dunkle Kirche erhaschen, die Schnellstraße kürzt quer durch den Berg ab, statt dem Tal des kleinen Flusses Lærdalselvi zu folgen, wie das die alte 630 tut. So nähern wir uns der Stabkirche von der anderen Seite. 

Ein großer Parkplatz, ein Infocenter mit Café und Souvenirverkauf. Nur ein kurzer Fußweg führt zur Kirche. Sie ist viel kleiner, als ich erwartet habe. Das Holz ist sehr dunkel gestrichen. Die verschachtelte Dachkonstruktion, bedeckt mit unendlich vielen kleinen Holzschindeln, dominiert das Bild. Die Stabkirche Borgund gilt als eines der ältesten Holzgebäude Europas und stammt vermutlich aus dem Ende des 12. Jahrhunderts.

Im Unterschied zu Blockhäusern, bei denen die Holzbalken horizontal verarbeitet werden, sind die Stämme der Stabkirchen vertikal angeordnet, vermutlich eine Anleihe aus dem Schiffbau, passend in der von der Seefahrt geprägten Wikingerkultur. Um das Gebäude herum ist ein offener Gang geführt, der, so die Interpretation, die Gottesdienstbesucher vor der Witterung geschützt hat. 

Der Innenraum beeindruckt durch seine Höhe. Natürlich ist es dunkel, Fenster gab es damals keine, es wurden nur kleine Gucklöcher verbaut. Die Holzsäulen werden durch Andreaskreuze gestützt, die Kirche ist dem Apostel Andreas geweiht. 

Der Glockenturm, der etwas entfernt von der Kirche steht, sieht aufgrund einer Holzverschalung viel neuer aus, stammt aber auch aus dem Mittelalter.  Noch ein Stück weiter befindet sich ein Kirchengebäude aus dem 19. Jahrhundert, das die Stabkirche damals als Gottesdienstgebäude ablöste. 

Wir Besucher:innen - Ingrid und ich waren beileibe nicht alleine vor Ort - tun der Kirche nicht gut, und so ist der Eintrittspreis von 100 NOK (10 Euro) absolut notwendig, damit dieses Zeugnis vergangener Zeiten auch zukünftigen Generationen zur Anschauung dient.

Zurück über Lærdal folgen wir der Reichsstraße 5 nach Norden. Bald stehen wir wieder am Wasser, es ist der Sognfjord, der überquert werden muss, mit der großen Fähre von Fodnes nach Mannheller. Die Schlange am Kai ist lang, aber alle Fahrzeuge, auch die großen Lastwagen, haben Platz auf dem Schiff. Die Überfahrt geht schnell vonstatten, es ist kaum ein Zeitverzug aufgetreten, eher eine willkommene Entspannungspause.

Kurze Zeit später sind wir in der Gemeinde Sogndal, wir fahren zunächst in den Hafenort Kaupanger, denn hier steht eine Stabkirche. Kaupang bedeutet Handelsplatz, erklärt mir Wikipedia. Aus dem Markt hatte sich Norwegens größte Stadt entwickelt, bis ein König namens Sverre sie zerstört hatte, weil sie sich ihm widersetzte. 

Die Stabkirche ist ähnlich alt wie die in Borgund, sie wurde jedoch im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut und hat viel von ihrer Ursprünglichkeit verloren, wie etwa den sogenannten Laubengang, den offenen Gang, den Borgund noch aufweist. Auch wurden Fenster eingefügt und das Kirchenschff insgesamt verlängert.

Das Gebäude leuchtet in einem hellen Braunton. Leider ist es verschlossen, wir können nicht hinein. Der Anblick von außen, mit dem obligatorischen Friedhof drumerherum und der Lage in der Nähe des Fjords, das sieht sehr schön aus.

Wir fahren noch runter zum Hafen von Kaupanger. Von hier aus besteht eine Fährverbindung nach Gudvangen, aber heute fährt wohl keine Fähre mehr. Wir legen eine Rast ein, es sind noch Scones zu essen und Kaffee zu trinken. 

Im Hauptort Sogndalsfjøra wollen wir über Nacht bleiben, jedoch ist uns der Parkplatz, den unsere App empfiehlt, viel zu schräg. Und wir sind da überhaupt nicht kleinlich. Offenbar wurde der ursprüngliche Parkplatz zugunsten einer kleinen Grünanlage zurückgebaut. Wir parken hier und gehen in die Stadt hinein.

Dazu queren wir die Brücke über den Sogndalsfjord (nicht zu verwechseln mit dem Sognfjord) und gehen an einer Uferpassage den Fjord entlang ins Zentrum. Das ist einmal mehr weniger Zentrum als es den Anschein hat, es gibt außer dem Fjord wenig zu sein, aber im Geschäftszentrum mit der typischen gesichtslosen Shoppingmallästhetik sehen wir eine Intersportfiliale. Dort stöbern wir ein wenig herum und tatsächlich verlasse ich sie mit einer leichten langen Wanderhose, da diejenige, die ich dabei habe, mitunter ein wenig zu warm ist. Ingrid findet eine ebenso leichte und farbige Softshelljacke.

Jetzt ist es schon nach 19 Uhr. Wir beschließen, noch ein Stück weiterzufahren. Die Straße führt ins Gebirge, mitten durch ein Skigebiet. Die Parkplätze sind zwar alle leer, aber ohne Charme. Hinter einem Tunnel an einem abgeschrägten Parkplatz am Straßenrand steht bereits ein niederländisches Wohnmobil, aber der Platz ist zu dicht an der Straße und zu abschüssig.

Irgendwann sind wir dann wieder raus aus den Bergen und am nächsten Fjord angekommen, dem Fjærlandfjord. Die auskunftsfreudige App schlägt einen Platz im gleichnamigen Dorf vor, dazu verlassen wir die Schnellstraße und fahren, vorbei am Gletschermuseum, in den Ort am Fjordufer. Am Ende des kleinen Dorfs liegt ein großer geteerter Platz, offenbar ein früherer Fährhafen, vielleicht aus der Zeit vor dem Bau des Tunnels und der dadurch schnellen Straßenverbindung. 

Wir parken direkt am Ufer. Es stehen auch hier mehrere andere Camper, weit von uns weg. Der Fjord sieht sehr romantisch aus, am Ufer gegenüber steigt der Berg sofort steil auf, nach Norden sehen wir die gewaltige Landschaft des Jostedalsbreen-Nationalparks. 

Auf dem Gelände stehen alte Schuppen und Abfertigungsgebäude. Sie sind alle mit Büchern vollgestopft. Hier am Ufer, direkt neben uns, befindet sich ein überdachtes Bücherregal, ebenfalls voller Bücher. Bei der Fahrt durch den Ort war uns bereits aufgefallen, dass an gefühlt jedem zweiten Haus die Aufschrift Antiquariat prangt. 

In einer größeren offenen Halle sind die Bücher kunstvoll drapiert. Ein Plakat verweist darauf, dass hier kürzlich die Boknatta i Fjærland stattgefunden hat, die Fjærländer Büchernacht, eine Art Buchmesse. Hier fühlen wir uns gleich wohl.

Jetzt heißt es erst einmal kochen und essen, denn es ist schon spät. In der Nähe liegt der Bøyabreen-Gletscher, den wollen wir uns morgen früh als erstes anschauen. Und dann überlegen wir, wie es weitergehen soll. Wir wollen ans Meer und dort ein paar Tage bleiben. Den Ort müssen wir noch festlegen. 

Im Ort gibt es eine Hütte mit öffentlichen WC, einer Dusche und sogar einer Waschmaschine, die man gegen ein kleines Entgeld nutzen kann. Besucher:innen sind in diesem hübschen Ort ausdrücklich willkommen. In der Nähe davon liegt im See vertäut ein kubisches Häuschen mit gläsernen Wänden: eine Sauna auf dem See. Ein zweiter Kubus steht am Ufer. Termine können telefonisch vereinbart werden. Tolle Idee.

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, eine scheidet schon gleich aus, da bereits online zu sehen ist, dass der einzige dort mögliche Campingplatz ausgebucht ist. Es ist Pfingsten, auch in Norwegen ist das Wochenende verlängert. Wir entdecken in den Reiseführern die kleine Insel Runde, sie ist bekannt als Brutstätte für Seevögel, darunter Papageientaucher. Jetzt ist kein Halten mehr. Es wird Runde werden. Aber erst morgen.


Das Video zu dieser Folge auf Youtube und gleich hier:












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